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Friedenstaube über Belfast
- Nach dreissig Jahren Bürgerkrieg scheint nun doch der Friede in
Nordirland einzukehren - eine gute Nachricht, die uns mit Freude erfüllt.
Resigniert, mit einem Gefühl der Ohnmacht waren wir Zeugen der Gewalttätigkeiten,
der terroristischen Attentate, denen mehr als 3000 Menschen zum Opfer gefallen
sind.
- Und plötzlich kündigt sich uns ein unverhoffter Frühling
an.
- Es ist nur ein Anfang. Dieses Abkommen ist wie ein Fenster, das man
nach vielen vergeblichen Versuchen endlich hat öffnen können.
Aber jetzt muß man darauf achten, dass es sich nicht wieder schließt.
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- Ein Abkommen ist noch kein Friede. Seine Feinde sind immer noch da.
Aber schon ist uns klargeworden, dass die bewaffnete Repression in eine
Sackgasse führen mußte, dass Waffengewalt kein positives Ergebnis
zeitigen kann.
- Ohne die realistische Einstellung und Entschlußkraft einiger
Politiker hätten sich die Verantwortlichen nie an einen Tisch gesetzt.
Nun ist es möglich geworden, dass die Feinde von gestern miteinander
sprechen, verhandeln, zukunftsweisende Pläne schmieden - und allen
zeigen, dass es weder Sieger noch Besiegte gibt.
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- Im Grunde genommen muß alles noch getan, viele Hindernisse müssen
noch überwunden werden. Es ist leichter, den Krieg fortzuführen,
als am Frieden zu bauen. Aber der Wunsch und der Wille zu leben werden
nicht mehr durch Haß zunichte gemacht werden können. Ein neues
Kapitel beginnt.
- Wieso brauchte man dreissig Jahre, um einzusehen, dass die Gewalt in
eine Sackgasse führt und dass man nur durch Verhandeln weiterkommt?
- Warum soviel Leid, soviel vergossenes Blut? Warum all diese Prüfungen,
wozu all die Trauer? Warum soviel verlorene Zeit und so viele zerstörte
Menschenleben?
- Werden die Länder, die seit Jahren von blutigen Bruderkriegen
zerrissen sind, von den Erfahrungen Nordirlands lernen können? Ich
denke an die Türkei mit den Kurden, an Spanien mit den Basken, an
Mexiko mit den Chiapas-Indianern ... Man könnte die Litanei fortsetzen.
- Die Friedenstaube von Belfast könnte auch für andere zum
Zeichen werden. Wohin wird sie morgen fliegen, welchem Land wird sie -
zu unserer Freude - morgen Hoffnung bringen?
Jacques Gaillot
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