Vollstreckung eines Todesurteils in Texas
Die Hinrichtung von Karla Tucker hat in der ganzen Welt Bestürzung
und Abscheu hervorgerufen. Als Mitglied der menschlichen Gemeinschaft empfinde
ich Scham.
Diese von barbarischem Zeremoniell begleitete Exekution ist und bleibt
für mich ein Skandal, ein Wahnsinn. Ein Skandal, denn sie zeigt uns
einmal mehr, daß wir im Teufelskreis der Rache gefangen bleiben. Ein
Wahnsinn: Wir sind offensichtlich nicht bereit zu glauben, daß sich
ein Mensch - auch wenn er im Namen der menschlichen Gerechtigkeit verurteilt
worden ist - später ändern kann.
Karla starb mit einem verzeihenden Lächeln - betend. Nach vierzehn
Jahren Wartezeit war sie eine andere geworden. Ihre Bekehrung zeugt vom
langen Weg, den diese Frau zurückgelegt hat; sie hatte den Wunsch,
das Bedürfnis, den Willen, ein neuer Mensch zu werden.
Ein Verbrecher kann niemals auf sein Verbrechen reduziert werden. Er
kann menschlicher werden, ein neues Leben beginnen. Wenn wir einen Kriminellen
vorsätzlich töten - sind wir da sicher, daß es immer noch
derjenige ist, den wir verurteilt haben?
Heute warten noch etwa 3400 Verurteilte in den Todeszellen auf ihre Hinrichtung.
Sie werden nie so bekannt sein wie Karla Tucker.
Und doch ist es möglich, daß auch sie sich im Verlauf all
dieser Jahre geändert haben. Und doch müssen wir sie als menschliche
Wesen betrachten - sie sind größer als ihre Verbrechen.
Skandal. Wahnsinn. Nie wird ein Tod einen andern Tod auslöschen
können.
Kann man hoffen, daß auf unserem Planeten eines Tages die Gewalt
über Leben und Tod keiner Behörde mehr anvertraut wird?
Dieses Ziel zu erreichen hieße, daß wir uns wandeln
können, dass unsere Menschlichkeit wachsen kann.
Jacques Gaillot |