Logbuch, Januar 1998 |
Rechtshilfe für Häftlinge | Der Widerstand der landlosen Bauern in Brasilien |
Die doppelte Strafe | Offene Kirchen |
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Rechtshilfe für Häftlinge
Was sich am 10. Dezember ereignete, hat einen hohen symbolischen Wert: Im Rahmen des Welttags der Menschenrechte begaben sich elf Delegationen in die verschiedenen Gefängnisse von Paris und Umgebung, um den Häftlingen den "Guide du prisonnier" zu überreichen - ein Handbuch, das den Gefangenen hilft, ihre Rechte geltend zu machen. 15 000 Inhaftierte erhielten 200 Exemplare dieses Büchleins. Durchgeführt
wurde dieser Tag vom OIP (eine Organisation, welche die Zustände in
den Gefängnissen beobachtet), in Zusammenarbeit mit jungen Pariser
Anwälten und einem Verband hoher Beamten. Zu einer Delegation gehörten
unter anderem eine Anwältin und ein Schauspieler. In der Bibliothek
des Gefängnisses konnte der "Guide" den Häftlingen persönlich
übergeben werden. Sie waren sehr empfänglich für diese Maßnahme,
die es ihnen erlaubt, ihre Rechte wahrzunehmen. Leider hatten die Gefängnisdirektoren
- trotz anderslautenden Versprechungen - von höherer Stelle die Weisung
erhalten, die Anwesenheit der Medien bei diesen Delegationsbesuchen zu unterbinden.
Die Journalisten gaben ihrer Enttäuschung über diese Kehrtwendung
Ausdruck. Es wird zwar von Transparenz geredet, aber bei ihrer Konkretisierung
hapert es. Durch diesen Rückzieher zeigte die Verwaltung der Strafvollzugsanstalten,
daß sie dem Druck der Aufseher-Verbände nicht viel entgegenzusetzen
hat.
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Der Widerstand der landlosen Bauern in Brasilien
Ich verbringe den Abend mit José Raihna. Er führt die Bewegung der landlosen Bauern an, zu der etwa 50 000 Familien in 244 Lagern zählen. Die MST (Bewegung der Landlosen) stellt die wichtigste Opposition gegen die Politik der Regierung dar. Ich freue mich über das Treffen mit diesem engagierten, bei den Bauern überaus beliebten Mann, für den die ungerechten Zustände schlicht unerträglich sind. Am 3. Juni 1989 hatten 100 Landarbeiterfamilien friedlich eine nicht genutzte Farm besetzt. Am 5. Juni taucht der Besitzer in Begleitung eines Polizisten auf. Die beiden Männer beginnen auf die Bauern zu schießen, diese erwidern das Feuer. Mehrere Bauern werden verwundet, der Besitzer und der Polizist kommen ums Leben. Die Farm wird sofort von der Militärpolizei belagert. Mehrere Bauern werden verhaftet und im Gefängnis gefoltert. Am 10. Juni 1997 wird José Raihna zu 26 Jahren Gefängnis verurteilt. Er wird dieses Doppelmordes für schuldig befunden. Die Entrüstung unter der Bevölkerung ist groß. Man hat beim Prozeß nicht beweisen können, daß er am Tatort anwesend war. Es gibt aber unwiderlegbare Beweise dafür, daß er damals mehr als 2000 Kilometer davon entfernt war! Es ist ein politischer Prozeß, gemäß Amnesty International ein parteiischer, unfairer Prozeß. "Mein einziges Verbrechen besteht darin", sagt José, "daß ich um ein Stück Land kämpfe, um ein Stück Brot, damit unsere Kinder nicht zu Banditen werden; wenn das kriminell ist, dann bleibe ich ein Krimineller." Raihna wurde verurteilt, weil er Chef der MST ist und sich aktiv für eine Agrarreform einsetzt. Wenn die Strafe mehr als 20 Jahre beträgt, wird in Brasilien automatisch Berufung eingelegt. Der Prozeß wird wahrscheinlich im Frühjahr stattfinden. In eindringlichem Ton sagt mir José: "Was zählt, ist vor allem die Agrarreform und die Erneuerung der brasilianischen Gesellschaft." Wir werden José Raihna unterstützen und uns für einen gerechten Prozeß einsetzen.
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Die doppelte Strafe
In Lyon sind sieben Personen in den Hungerstreik getreten. Da sie mich zu sich rufen, begebe ich mich zu ihnen. Trotz ihrer Verzweiflung und ihrem geschwächten Zustand verläuft unser kurzes Treffen in herzlich-brüderlicher Atmosphäre. Wer sind sie? Sie sind entweder in Frankreich geboren oder sehr jung hierher gekommen. Sie sind Familienväter. Sie ziehen mit ihren Ehefrauen, die Französinnen sind, französische Kinder auf. Ihre Eltern sind seit 30 oder sogar 40 Jahren in Frankreich. Diese doppelt gestraften Personen haben meist vor sehr langer Zeit ein Delikt begangen und sind deswegen zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden. Nach Verbüssung ihrer Strafe werden sie zusätzlich auch noch ausgewiesen, müssen also ihre Eltern, ihre Kinder, ihre Freunde und das Land, in dem sie aufgewachsen sind, verlassen. Das ist die doppelte Strafe: Gefängnis und Ausweisung. Aber für dasselbe Vergehen kann niemand zweimal bestraft werden! Trotz allen Protesten ist die doppelte Bestrafung seit nunmehr 20 Jahren nicht abgeschafft worden. Sie bleibt leider auch nach dem Chevènement-Gesetz in Kraft. Das ist für mich skandalös.
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Offene Kirchen
Nach kurzem Aufenthalt in St.Gallen (Schweiz) reise ich nach London. Ich nehme an Veranstaltungen in Kirchen teil, die wieder zu Begegnungsorten geworden sind, wo in zwangloser Atmosphäre verschiedenartige religiöse und kulturelle Aktivitäten stattfinden können. In kollegialem und ökumenischem Geist werden diese Kirchen benützt, und von morgens bis abends strömen Leute herbei - diese Kirchen sind tatsächlich zu etwas nütze. Ich hatte das Gefühl, daß die Kirche von unten wieder zum Leben erwachte. Die Oekumene war wahrhaft gelebte Realität. Niemand fühlt sich ausgeschlossen. Jeder wird dort aufgenommen, geachtet, angehört - wie seine Situation auch sein möge. Diese offenen Kirchen haben Erfolg. Diese neue Art von Kirche-Sein ist eine gute Neuigkeit.
Jacques Gaillot
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Knospe, du trägst die Kraft zur
Blüte
Der Bischof und aller Aufgabe ist es, nachzudenken
über eine Kirche, die mehr denn je im Menschen tiefe Wurzeln schlagen
muß, um den Stürmen standzuhalten. |