Logbuch: Dezember 2003 

  Laizität und religiöse Zeichen  Ein Wort gibt das andere 
  Der Tod - und nachher? Ein schlechter Prozess 
  Geschichte von Partenia und Biographie von Bischof Jacques Gaillot
 
   Neues Buch: Machtlos, aber frei
 

PARTENIA

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Laizität und religiöse Zeichen

Die "Fédération des Associations Laïques de Roubaix (FAL)" (Zusammenschluss von Laienverbänden) hatte mich gebeten, an einem Diskussionsforum im Stadthaus von Roubaix teilzunehmen. Außer mir sollten unter anderem auch der Bürgermeister, der Rektor der Akademie und der Imam zu Wort kommen. Der große Saal war voll besetzt, im Publikum saßen vor allem Lehrpersonen. Ich bemerkte auch drei verschleierte Frauen. Es versprach also eine heiße Debatte zu werden!

Für mich setzt die Laizität voraus, dass die Bürger zuerst Frauen und Männer sind, bevor sie Glaubende sind. Man ist kein Glaubender, wenn man nicht zuerst Bürger ist. Der Glaube kommt nachher. Glauben bedeutet eine freie Wahl treffen. Der Schritt kann nur vollzogen werden, wenn man auch das Recht hat, ihn nicht zu tun.

voile Akzeptieren die Fundamentalisten diese Glaubensverweigerung? Müssen für sie nicht alle Glaubende sein? 

Was die unvermeidliche Schleierfrage betraf, so sagte ich, ich wünschte kein Gesetz. Das Gesetz ist das letzte Mittel, das man ergreifen sollte, der Ausschluss ist immer Ausdruck des Scheiterns. Aber ich merkte, dass die Versammlung - mit Ausnahme der drei verschleierten Frauen - ein Gesetz befürwortete.

     

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Ein Wort gibt das andere

Bâle en Suisse Es war in Basel. Nach meiner kurzen Rede stand eine junge Frau auf, um zu sagen, wie sehr sie wegen ihrer Kirche, der katholischen Kirche leiden musste. Sie war verletzt, empfand Bitterkeit und sogar Hass. Sie überlegte sich den Austritt aus der Kirche. 

Eine andere junge Frau erhob sich, nicht um eine Frage zu stellen, sondern um ihrer Überzeugung Ausdruck zu geben. "Ich bin Muslimin", sagte sie mit sanfter Stimme. Es sei wichtig, die eigene Religion kennenzulernen, nach ihr zu leben, um ihren Kern zu entdecken.  Dann wandte sie sich an die Frau, die Schwierigkeiten hatte mit ihrer Religion, und sagte zu ihr: "Verlassen Sie Ihre Kirche nicht, auch wenn Sie jetzt an ihr leiden."

donner témoignage

Sie zeigte, dass es nur dann eine gegenseitige Bereicherung geben kann, wenn jeder seine Religion kennt und liebt.

Alle lauschten aufmerksam und voller Bewunderung den Worten dieser Muslimin, die einen Weg aufzeigten, der aus dem Dunkel führte.
Am anschließenden Essen, zu dem mich eine Familie eingeladen hatte, war zur Freude aller auch die Muslimin anwesend, um mit uns in freundschaftlicher Atmosphäre das Brot zu teilen.

   

 

     
   

Der Tod - und nachher?

Die teilnehmenden Personen waren sehr zahlreich in diesem Teil des Friedhofs, der "le carré juif" genannt wird, der jüdische Teil. Derjenige, der uns hier zusammengeführt hatte, lag im Sarg, der in die Erde hinuntergelassen wurde. Als mich seine Lebensgefährtin sah, kam sie zu mir, umarmte mich und sagte: "Jacques, Jacques, wenn du wüsstest, wie sehr ich in diesem Moment an dich denke! Was für ein Glück hast du, dass du glaubst!".
Diese Frau, die ich so bewundere, ist Atheistin. Für sie gibt es nach dem Tod nichts mehr. Die absolute Leere, das Nichts. Sie möchte glauben, aber es gelingt ihr nicht.
Ich stand neben ihr und dachte an die Worte, die Theresia vom Kinde Jesu an ihre Mitschwestern richtete: "Ich sterbe nicht. Ich trete ins Leben ein."

après la mort Die Leute schritten schweigend am Grab vorbei und warfen eine Handvoll Erde auf den Sarg. Als der Abbé Pierre an der Reihe war, rief er aus: "In der Hoffnung, dass wir uns eines Tages wiedersehen!" 

   

 

     
   

Ein schlechter Prozess

Tariq Ramadan Am Sozialforum traf ich Tarik Ramadan. Vor etwa fünfzehn Jahren hatten wir in Genf zusammen ein Diskussionsforum geleitet, und seitdem waren wir Freunde geblieben. Tarik hat große menschliche Qualitäten, er hat Talent und ist sehr geistreich. Man schätzt ihn als Philosophen, fürchtet aber auch seine Debattierkunst. Er versteht es, mit seinen Brüdern der Vorstädte zu sprechen, ihnen eine Würde zu verleihen, deren sie sich zu wenig bewusst waren.  Dank ihm können sie wieder einen gewissen Stolz haben, der in ihnen auch das Verlangen weckt, vollwertige Bürger zu werden.

Tariks Wirkung ist groß, und seine Feinde sind zahlreich. Jetzt beschuldigt man ihn des Antisemitismus.

Es findet ein Gesprächsforum mit ihm statt. Kann man mit dem Teufel reden? Der Teufel, das ist er. Wie meistens setzt er sich ans Tischende. Die Fragen, die ihm gestellt werden, sind wie vergiftete Pfeile. Man wähnt sich an einem Volksgericht. Aber Tarik behält seine Ruhe und seine Würde, legt Zeugnis ab von seinem inneren Frieden.
Nach dieser Prüfung vertraut er mir an: "Mein Leben ist nicht leicht in diesem Moment. Bete für mich."