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- Botschaft
- von
- Gaza
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Wenn ich Abou Salem frage, was denn der Unterschied sei
zwischen der Intifada von 1987 und dem, was man heute die Intifada
al Aqsa nennt, antwortet er mir: "Die Polizei ist palästinensisch,
die Ambulanzen sind palästinensisch, und die Toten sind
immer noch Palästinenser." In der Tat wird die vom
Menschenrechts-Zentrum in Gaza herausgegebene Liste der Opfer
täglich länger; sie enthält Angaben über
ihr Alter (durchschnittlich 22), ihren Herkunftsort (meistens
Flüchtlingslager) und die Stelle, wo die tödliche Kugel
eingedrungen ist (Kopf und Herz). 140 wurden getötet, 4000
verletzt (davon einige sehr schwer). Die israelische Armee gibt
ihrerseits den Tod von 12 israelischen Arabern, 9 israelischen
Juden und 2 Drusen bekannt.
Erschreckend: "no comment!"
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Zwei Intifadas, zwei Aufstände, die dieselbe Triebfeder
haben: die Demütigung, denn es gibt nichts Schlimmeres.
Dem ersten Aufstand lag die Hoffnung zu Grunde, Verhandlungen
zu erreichen, das war dann das Abkommen von Oslo; die zweite
Revolte entstand aus Verzweiflung. Vor unser aller Augen explodiert
die Gewalt, hervorgerufen durch tägliche, viel zu lange
erduldete Unterdrückung.
Ich kam im September 1995 ins Land, damals herrschte eine gewisse
Euphorie wegen den ersten sichtbaren Folgen der Abkommen von
Oslo. "Gaza und Jericho zuerst" im Mai 1994,
dann die historische Rückkehr Arafats - so wurde die Gründung
des Staates Palästina vorbereitet, auf 20/100 des historischen
Palästina, nämlich Cisjordanien und Ostjerusalem. Was
man nach sechs Jahren feststellen kann, ist die Wirkungslosigkeit
dieser Abkommen, die Unfähigkeit, den Palästinensern
zu ihrem Recht zu verhelfen.
Mitten in den sich überstürzenden Ereignissen - Rabins
Ermordung, die vor palästinensischen Städten in Stellung
gehende israelische Armee, die mörderischen Hamas-Attentate,
die ersten Wahlen der Legislative, die Regierungswechsel in Israel;
um nur von den ersten Monaten des Jahres 1996 zu sprechen - wurde
sich der Neuankömmling, der ich war, bewusst, dass dies
kein guter Start für den Friedensprozess war.
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Taba, Oslo2, Gipfel von Charm-el-Cheikh und Wye Plantation,
Erez, Camp David
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all diesen Gipfeltreffen folgte Wortbruch und Erpressung,
aus der Hoffnung von Oslo wurden "humanitäre Regelungen",
und vor allen Dingen ging die Basis der Verhandlungen vergessen:
die UNO-Resolutionen.
Wer sieht nicht, wenn er vor Ort ist, dass die Logik der militärischen
Besetzung nie aufgehört hat? Die Ausdehnung der Siedlungen
und ihrer Strassennetze haben die Dörfer und Städte
der Palästinenser isoliert, ihr Leben ist dadurch unmöglich
geworden.
Die Intifada el Aqsa ist ein offener Krieg mit Tanks und Helikoptern
gegen Zivilisten. Die UNO kann Israel einmal mehr verurteilen
- "es ist eine rein bilaterale Angelegenheit zwischen
Israeli und Palästinensern. Und Amerikanern!"
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An diesem Donnerstag, 12. Oktober, fallen Bomben. Nach dem
ersten Schrecken hat man fast das Gefühl, live einen schlechten
Rambo-Film mitzuerleben. |
- Man sieht, dass die Abkommen von Oslo das Volk vor gar
nichts schützen. "Macht euch klein, sonst helfen
wir nach."
- Bombardierungen, Vergeltungsschläge, derselbe Wortschatz
wird auch für den Krieg im Irak angewendet, und dieselben
Waffen töten wohl Iraker und Palästinenser, in erster
Linie Kinder.
Die Flughäfen von Bagdad und von Gaza werden kontrolliert,
die Wirtschaft wird abgewürgt, das nationale Erbe wird geplündert.
Zwei Völker, die direkt oder indirekt von den Nationen im
Stich gelassen wurden.
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- Der eine stirbt
- und der andere auch
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Die Konfrontationen, die sich mit den israelischen
Arabern zum ersten Mal bis nach Galiläa ausweiteten, finden
alle in den Autonomen Gebieten der Palästinenser statt.
Sieben Jahre sind vergangen seit der Unterzeichnung der Oslo-Verträge,
bei denen die ganze Welt in Washington Zeuge war. Was tun die
Israeli in einem Land, das nicht das Ihre ist?
Sieben Jahre nach der Unterzeichnung der Oslo-Verträge,
in diesem Augenblick, kann eine Besetzer-Armee ungestraft die
herrliche Oase im Süden von Gaza verwüsten, Gärten
und Wasserleitungen zerstören, Palmen- und Olivenhaine umlegen
unter dem Vorwand, dass sich dort "Terroristen verstecken
und uns angreifen könnten"! Die Angst, die Bäume
- dies alles erinnert mich an den biblischen Genesis-Bericht,
wo die Menschheit ihre Nacktheit entdeckt. Ein Mensch kann noch
so stark und gut bewaffnet sein, Gott zeigt ihm, dass der andere,
der Verletzliche, sein Mitmensch ist.
Das Lager von Chateh ist erfüllt vom Geschrei der
Leute, die einen ihrer Märtyrer zu Grabe tragen. Die Menge
schreit im Namen dessen, der jetzt stumm ist, aber trotzdem auf
schreckliche Art gegenwärtig durch seinen zur Schau gestellten,
blutigen, in den Farben Palästinas gewickelten Körper.
Ich vernehme die faszinierende Psalmodie des Muezzins, die in
der Menge untergeht und dann wieder daraus emporsteigt: "Glaube
ja nicht, dass diejenigen, die als Kämpfer auf Gottes Weg
getötet werden, tot sind. Sie sind lebendig." Sure
3,169.
Ich höre noch den Taxichauffeur, der mir soeben sagte
- er zeichnete dabei auf seiner Handfläche ein winziges
Territorium -: "Palästina ist gestorben!"
Ihr Schrei wird das Veto der UNO weiterhin übertönen.
Und ihre nackte Hand sucht weiterhin nach einem rechten Maß
an Gerechtigkeit und Frieden.
Georges Vimard, Priester in Gaza
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Dank dem Chatraum der Partenia-Homepage
habt ihr die Möglichkeit, auf diesen Text zu reagieren und
im Gespräch mit Salim, Ala Nizar, Elias, Rasha, einigen
Studenten von Gaza, auf folgende Fragen einzugehen:
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Die Religion, identitätsstiftende
Zuflucht (besonders für Jugendliche ohne Zukunftsperspektiven). |
- |
Umgang mit Gewalt (Friedenskultur im
Islam und im Judaismus) |
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Krieg der Bilder und der Worte (Zeitungen
und Internet: Desinformation, Halbwahrheiten, Unwahrheiten, organisierte
Propaganda ... |
Update, 13. November 2000 |