Logbuch: Juli 2002 

  Eine Geste, die aufleben lässt 
  Tunesien: Nur die Toten haben das Recht, die Stimme der Opposition zu hören 
  Besetzung der "Cité des Sciences et de l'Industrie"
  Geschichte von Partenia und Biographie von Bischof Jacques Gaillot
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Eine Geste, die aufleben lässt

Nach meiner Ankunft in Montréal ass ich beim Präsidenten der Bischofskonferenz von Québec. Dieser berichtete von einem Ereignis, das sich vor kurzem zugetragen hatte und das für ihn äußerst wichtig war.

Das Kreuz der Weltjugendtage war in seiner Diözese angelangt. An verschiedenen Orten waren Feiern vorgesehen. Der Bischof wünschte, dass das Kreuz auch ins Haus der jungen Delinquenten gebracht werde. Was auch geschah.  Croix des Journées Mondiales

Einige Tische wurden zusammengerückt, das Kreuz wurde drauf gestellt. Die Jugendlichen liefen herbei, um das Kreuz mit ihren Händen zu berühren. Sie ließen ihre Hände einen Moment auf dem Kreuz ruhen, wie um daraus Kraft und Leben zu schöpfen. Vielleicht wollten sie mit dieser vertrauensvollen Geste ausdrücken, dass sie anerkannt, geliebt, geachtet werden wollten, und so in der Gesellschaft leben wie die anderen jungen Leute? Jedenfalls bat einige Tage später etwa ein Dutzend von ihnen den Bischof, sie zu firmen. Wie ein guter Hirte erfüllte der Bischof dieses Begehren, ohne ihnen Hindernisse in den Weg zu legen, und zeigte so, dass diese jungen Rechtsbrecher in den Augen Gottes wertvoll sind.

JMJ Canada  Diese evangelische Szene bewegte mich sehr, und ich erzählte sie am nächsten Tag vor etwa fünftausend Zuhörern. Die Menge applaudierte. 

     

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Tunesien: Nur die Toten haben das Recht, die Stimme der Opposition zu hören

Eine Delegation aus Marseille und Paris war nach Tunis gereist, um ihre Solidarität mit mehreren Gefangenen zum Ausdruck zu bringen, besonders mit Hamma Hammami, einem der wichtigsten Vertreter der Widerstandsbewegung. Seine Frau, eine bekannte Anwältin, erwartete uns am Flughafen.

Hamma Hammami  Meine Bewunderung für Hamma Hammami ist gross. Seit 1972 führt er seinen mutigen Kampf. Dreißig Jahre Verfolgung! Er kennt praktisch alle Strafanstalten Tunesiens, vor allem das düstere Gefängnis von Nadhor. Wie kann dieser Mann noch überleben - nach all der Folter, die er ertragen musste? 

Die Polizei begleitete und überwachte uns auf Schritt und Tritt. Vor dem Gefängnis von Tunis wurden wir rücksichtslos auseinandergetrieben. Den Fernsehteams von France 3 und Arte, die die Szene filmen wollten, wurde das Material beschlagnahmt, und das BBC-Team wurde anderthalb Stunden festgehalten. Auch wurde die vorgesehene Pressekonferenz bei einer Privatperson verboten.

Der einzige Zufluchtsort, der sich den Oppositionellen während dieser traurigen Tage bot, war ein Friedhof auf dem Land, etwa 120 km von Tunis, mitten in der beruhigenden Stille und der Schönheit der Getreidefelder und Olivenhaine, in Gaafour. Hier kamen sie wie jedes Jahr zusammen, die Linksaktivisten, Gewerkschafter, Verteidiger der Menschenrechte, vor dem bescheidenen Grab von Nabil Barakati, der vor 15 Jahren unter Bourguibas Folter starb. Nabil war 27 Jahre alt. Für ganz Tunesien bleibt er eine bedeutende Figur des Widerstandes.

Dort, und nur dort, konnten wir frei miteinander reden. Ein seltsamer Ort für eine Zusammenkunft, dieser einsame Friedhof mitten in den Feldern. Einige verstreute Polizeiautos hielten sich aber trotzdem in Sichtweite auf.

Nur die Toten, die Blumen und die Vögel haben das Recht, sich die Reden dieser Kämpfer für die Menschenrechte anzuhören.   droit d'entendre

Sollten die Tunesier dessen etwa nicht würdig sein? Es herrscht die totale Überwachung, die Repression trifft alle. Wer das Regime von Ben Ali gutheißt, hat Angst - oder irgendwelche Interessen.

la tombe  Wir bilden an Nabils Grab eine große Familie. Man erteilt mir das Wort. Ich spreche von diesem kleinen Lehrer mit dem großen Herzen, der keine Obrigkeit fürchtete, der aber von den Behörden so gefürchtet wurde! Weil er ein freier Mann war. Auf seinem Grab steht auf arabisch: "Gottes Barmherzigkeit möge ihn zudecken". 

Nabil würde es verdienen, selig gesprochen zu werden!

   

 

     
   

Besetzung der "Cité des Sciences et de l'Industrie"

action illégale  150 Sans-papiers haben diesen berühmten Ort besetzt, um zu fordern, dass man ihnen einen regulären Status zuerkennt. Diese Besetzung folgt auf diejenige des ehemaligen "Hauses der Kolonien", wo auf einem riesigen Transparent geschrieben stand: "Gestern im Süden kolonisiert, heute im Norden ausgebeutet - gültige Papiere für alle". Diese beiden während der Wahlkampagne durchgeführten illegalen Aktionen verfolgten das Ziel, die geforderte Regelung für die Sans-papiers, die sich im doppelten Schraubstock von Repression und Ausbeutung befinden,

wieder in den Katalog der übrigen sozialen Bestrebungen aufnehmen zu lassen.

In der großen Eingangshalle des Zentrums für Industrie und Wissenschaften veranstalten wir ein Sit-in mit Reden und Liedern. Die Direktorin empfängt eine Delegation. Sie verzichtet darauf, die Polizei zu rufen, und ist bereit, beim Sozialminister zu intervenieren. 

eye withness 

Mehrere Male hatte man uns Treffen mit dem Innenminister vorgeschlagen, laut der Regierung der einzige Ansprechpartner, um über das Problem der Sans-papiers zu verhandeln. Wir hatten jedesmal abgelehnt, da es prinzipiell um die Achtung und Anwendung der Grundrechte geht und nicht um Sicherheitsmaßnahmen, die das Ziel haben, die Sans-papiers zu brandmarken.

Wir wurden vom Minister für "soziale Angelegenheiten und Solidarität" empfangen - der Name passt -, um zu verlangen, dass für die papierlosen Arbeiter dasselbe Recht gilt wie für alle andern Arbeiter.
Der 15-er Gipfel in Sevilla will aus Europa eine unbezwingbare Festung machen, obwohl in einem UNO-Rapport von 2001 in Bezug auf das Bevölkerungswachstum steht, dass die demographische Überalterung Europas die Sicherung der Renten gefährdet und dass man gezwungen sein werde, außerhalb der Grenzen Arbeitskräfte zu holen.