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- Drei Fragen an Jacques
Gaillot
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- Im August erschien der Text "Die
Zusammenarbeit von Mann und Frau in der Kirche und in der Welt"
von Kardinal Ratzinger, dem Präfekten der Glaubenskongregation.
Der Vatikan verschärft den Ton gegenüber dem Feminismus
und der Homosexualität.
Wie sieht deiner Meinung nach die Kirche des 21. Jahrhunderts
die Rolle der Frau, und welchen Platz soll sie ihr zugestehen?
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Was die Lehre anbelangt, sehe ich keine
Veränderungen. Die herkömmliche Lehre wird bekräftigt. |
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Kardinal Ratzinger liefert eine realistische Beschreibung der
heutigen Situation der Frau. Er kritisiert die Gefahr, die darin
besteht, die Unterschiede zwischen den Geschlechtern verwischen
zu wollen, oder im Gegenteil ihre Rivalität hervorzuheben.
Aber es bleibt die Kluft zwischen der traditionellen Position
der Kirche und den bedeutenden kulturellen Umwälzungen unserer
Gesellschaften. Der kulturelle Bruch rührt daher, dass die
moderne Realität abgelehnt wird.
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- In der klassischen Familie steht
der Mann über der Frau, die Eltern über ihren Kindern,
die Heterosexuellen über den Homosexuellen.
In der demokratischen Familie nehmen diese drei Ungleichheiten
allmählich ab: Die Individuen werden als vollwertige Personen
wahrgenommen. Diese Anerkennung der Autonomie der Individuen,
die im Gesetz verankert ist, bringt die traditionellen Standpunkte
ins Wanken.
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Die katholische Kirche anerkennt zwar
die Würde der Frauen, nicht aber die vollständige Gleichberechtigung
innerhalb ihrer Institution. Der geschlechtliche Unterschied
kann nicht Quelle von Ungleichheit sein. Frauen dürfen noch
immer nicht zu Priesterinnen geweiht werden. |
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- Wie denkst du über die von
Papst Johannes Paul II. entwickelte Marienverehrung?
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- Der Papst hat im Laufe seines Pontifikats
die Marienverehrung wieder gefördert, anläßlich
seiner zahlreichen Pilgerfahrten, in seinen Schriften (ich erinnere
an die Lichtreichen Geheimnisse, die er dem Rosenkranz beigefügt
hat) und durch seine Predigten. Selten hat ein Papst eine solche
Marienfrömmigkeit an den Tag gelegt.
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- Dies scheint mir zu weit zu gehen.
Für die Ökumene ist es sicher nicht förderlich.
Unsere reformierten Mitchristen können sich damit nicht
identifizieren. Als der Papst nach London reiste, haben sie von
diesem trennenden Unterschied gesprochen.
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In der Bibel ist Maria sicher präsent,
aber auf ganz unauffällige, einfache Art.
Die Einheit der Christen ist auf der Basis von Jesus Christus
möglich. |
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- Während seiner Lourdes-Reise
hat der Papst erklärt: "Verteidigt eure Freiheit"
und hat zur "Achtung allen Lebens" aufgerufen, was
als erneute Opposition gegen den Schwangerschaftsabbruch und
die Euthanasie empfunden wurde. Wie hast du es aufgefasst?
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- Als Aufruf zum Widerstand. Die Christen
sind aufgerufen, Widerstand zu leisten. In einer materialistischen,
säkularisierten Welt müssen sie sich gegen all das
wehren, was das menschliche Leben missachtet. Freie Männer
und Frauen sind dazu fähig, nicht zu gehorchen.
Ich bin nicht unempfänglich für Reden, die Widerstand
und Ungehorsam fordern! Das kommt so selten vor in der Kirche!
Gewöhnlich fordert die kirchliche
Obrigkeit Gehorsam und Unterwerfung unter die etablierte Macht.
Aber warum sollte sich dieser Aufruf zum Widerstand nicht auch
auf andere Gebiete ausdehnen? |
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- (Interview: Olivier Robert)
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