Fragen der Zeit

 
Drei Fragen an... Jacques Gaillot
 

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Drei Fragen an... Jacques Gaillot
 
Im vergangenen Monat wurden wir Zeugen eines noch nie da gewesenen Aufruhrs in so genannten "sensiblen" Quartieren in Frankreich. Kann behauptet werden, das französische Integrationsmodell sei gescheitert?
 
Es ist ein Scheitern, ja, aber das Modell an sich wird dadurch nicht in Frage gestellt.

jeunes de banlieue Die Jugend hat mit Gewalt reagiert. Auf die Ungerechtigkeiten, die sie demütigen, auf die Tatsache, dass man sie in ihren Quartieren allein lässt. 
 
Es sei blinde und verantwortungslose Gewalt, hieß es. Aber sind sie nicht selber Opfer einer noch unerträglicheren Gewalt, die ihren Alltag vergiftet und ihr Leben einengt, so, als sei dies alles unabänderlich, eine Fatalität?
Wenn sie ein Kaufhaus betreten, werden sie von Sicherheitsleuten beschattet, gehen sie im Stadtzentrum in eine Bar, so müssen sie zum Voraus zahlen. Wenn sie Arbeit suchen oder eine Wohnung, weist man sie auf Grund ihrer Herkunft zurück! Sie erleben überall Angst, Verdacht, Misstrauen.
Auf brutale Art zeigen nun diese Jungen, dass sie existieren, und sie ziehen die Aufmerksamkeit der Medien auf sich. Auf ihre Wut wird mit allen zur Verfügung stehenden repressiven Mitteln geantwortet: Polizei, Gericht, Verurteilungen, Gefängnis, Ausweisungen... Soziale Verbesserungen werden angekündigt. Aber so viele Begegnungen fanden nicht statt, so viele Lügen wurden verbreitet, so viele politische Versprechen gerieten in Vergessenheit!
 
Das "Autoverbrennungssyndrom" scheint ein typisch französisches Phänomen zu sein, in anderen Ländern gibt es das kaum. Was wird Ihrer Meinung nach dadurch ausgedrückt?
 
quartier sensible Die brennenden Autos im Land drücken den Zorn und die Revolte der jungen Menschen aus, denen man keine Zukunft ermöglicht und keinen Raum lässt. Sie sind überflüssig.
Die Jungen halten uns mit den brennenden Autos meiner Meinung nach einen Spiegel unserer Gesellschaft vor.
 
 
Eine Gesellschaft, in der Unternehmen Wahnsinnsgewinne machen, aber ungestraft massenweise Leute entlassen können; eine Gesellschaft, die für Erziehung und Gesundheitswesen kein Geld mehr hat, die aber für die großen Einkommen steuerliche Erleichterungen beschließt; eine Gesellschaft, die Bedürfnisse schafft, zum Konsumieren verleitet, immer mehr und immer mehr, aber die zugleich Menschen hervorbringt, die in ihr keinen Platz mehr haben und denen sie das Existenzminimum verweigert.

Um das Feuer zu löschen, muss gegen alles gekämpft werden, was es anfacht: Ungerechtigkeit, Rassismus, Ungleichheit, Arbeitslosigkeit… 

colère

 
In Tunis findet der Weltinformationsgipfel statt. Man spricht über die digitale Kluft und über die Kontrolle der USA über das Internet. Ist es möglich, dass die Kluft zwischen Nord und Süd durch die neuen Technologien noch vertieft wird?
 
Eine Milliarde Menschen benutzt das Internet. Die meisten Menschen mit Internetanschluss leben in Asien, danach folgt Europa und dann Nordamerika.

accès pour tous Die digitale Kluft ist die Kluft zwischen Arm und Reich. Kann dieser Graben in den nächsten Jahren überwunden werden? Das ist nicht sicher. Aber die Ausbreitung des Netzes wird auf jeden Fall der demokratischen Entwicklung förderlich sein. 

Interview: Olivier Galzi