Logbuch: Oktober 2006

  Das Fest der Menschlichkeit Familien im Kampf
  Am Flughafen von Roissy  Endlich frei! 
 

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Das Fest der Menschlichkeit

Fête de l'humanité Ich besuche sie immer wieder gern, diese von der kommunistischen Partei Frankreichs organisierte Versammlung in der Nähe von Paris. Von ganz Frankreich kommen die Leute zusammen. Eine gewaltige Menschenmenge. 
 
Die vielen unerwarteten Begegnungen machen mir Freude, ich leiste der Einladung zu einer Tasse Kaffee oder zu einem Glas gerne Folge. Aus allen Regionen werden köstliche Spezialitäten angeboten, man hat die Qual der Wahl. Ein paar junge Leute trinken Champagner, auch sie möchten mich einladen. Da darf ein Foto nicht fehlen. Und dem Champagner muss auch zugesprochen werden.
Die Gesichter sind entspannt, offen. Wir sind zu einem Fest zusammengekommen.
Man sieht immer noch viele Che-Guevara-Poster. "Che" ist für manche immer noch eine Ikone des Befreiungskampfs.
Die Solidarität mit den Palästinensern geht nicht vergessen.
An den Ständen sind Inschriften angebracht, Slogans, welche die Neugierde der Vorbeigehenden wecken. An einem gibt es ein Zitat von Victor Hugo zu lesen: "Die, die leben, sind die, die kämpfen".

Ich gehe vor einem großen Saal vorbei, wo gerade eine Diskussionsrunde angefangen hat. Eine gute Gelegenheit, um mich ein wenig hinzusetzen. Das Thema ist interessant: "Gläubige, Ungläubige - welche gemeinsamen Werte für die Zukunft?". 

rencontres

 
Fünf Männer ergreifen nacheinander das Wort. Was mir gleich auffällt: Keine einzige Frau ist dabei. Schade, dass die Organisatoren nicht darauf geachtet haben.
Der wichtigste gemeinsame, universelle Wert, den die Redner hervorheben, ist derjenige der Freiheit.
     
   

Familien im Kampf

300 Personen sind in eine Turnhalle in der Banlieue von Paris geflüchtet. Die meisten stammen von der Elfenbeinküste oder Mali. Viele haben keine Aufenthaltspapiere. Fremde ohne Papiere.

situation intolérable Diese Familien sind gewaltsam aus einem Gebäude vertrieben worden, das sie seit mehreren Jahren besetzt gehalten hatten. Die Lage in der Turnhalle wird langsam unhaltbar. Der Anblick dieser wie Vieh eingepferchten Familien ist schwer zu ertragen. 
 
Viele Kleinkinder sind dabei. Es hat drei Geburten gegeben. In den Umkleideräumen liegen sechs geschwächte Personen auf Matratzen, sie sind im Hungerstreik. Ich begegne Männern und Frauen, die auf einem Teppich oder einem Stück Pappe ihre Gebete verrichten. An mehreren Orten wird gekocht.

Die Familien haben es abgelehnt, Hotels zu beziehen, wo man weder kochen noch die Wäsche besorgen kann. Und wenn sie getrennt werden, können sie nicht mehr gemeinsam handeln. 

agir ensemble


Das Umdenken beginnt bei der Gesellschaft dann, wenn sie der Entschlossenheit dieser Menschen gewahr wird, wenn diese sichtbar werden. Zwei Spieler der französischen Mannschaft haben den Vertriebenen 70 Plätze angeboten, damit sie am Spiel Frankreich gegen Italien dabei sein konnten. Das war für alle in der Turnhalle wie ein Fest. Die Wortführerin der Frauen hatte mir gesagt: "Nach all dem, was wir hier durchmachen mussten, war diese Initiative die bestmögliche Therapie."
Die Solidarität der Quartierbewohner ist ein Zeichen, auch diejenige der Prominenten. Die Mobilisierung geht weiter. Eine kurzfristige Lösung gibt es schon: die Beschlagnahmung eines Gebäudes.
   

 

     
   

Am Flughafen von Roissy

expulsion Es vergeht kein Tag, ohne dass Flugzeuge abgewiesene Asylbewerber nach Afrika zurückbringen. Ich begebe mich am Flughafen zu einer Gruppe von Aktivisten. Wir sind hier, weil zwei Malier, Sissoko und Cisse, gezwungenermaßen das Flugzeug nach Bamako besteigen werden. Überall Polizei. Die Einschüchterungsanstrengungen sind groß. 

Im Gewimmel finden wir die Reihe der Passagiere, die nach Dakar und Bamako fliegen.
"Fliegen Sie nach Bamako? In Ihrem Flugzeug werden zwei Malier in Handschellen sitzen. Sie werden mit Gewalt ausgeschafft. Sie können ein Zeichen geben, um Ihren Widerstand auszudrücken: den Gurt nicht anlegen, eine Erklärung verlangen, den Captain sprechen…"
Ein Dialog beginnt. Einige versprechen, etwas zu unternehmen, andere hören einfach höflich zu.

Jetzt sind alle Passagiere eingestiegen. Was wird nun geschehen? Wird es an Bord Widerstand geben? Einen verspäteten Start? Die Kommunikation ist abgebrochen. 

retour en Afrique

Es ist ein ungleicher Kampf. Wir machen uns keine Illusionen. Ein paar Samenkörner sind ausgestreut worden.
Die malische Organisation, die im Januar 2006 anlässlich des europäischen Sozialforums in Bamako zu Gunsten der Ausgewiesenen geschaffen worden ist, wird informieren. Diese Gesellschaft nimmt Ausgewiesene auf und setzt sich für sie ein, sodass der Kampf hier und unten weitergehen kann.
Inzwischen haben mehrere Dutzend Sans-papiers das malische Generalkonsulat besetzt. Sie denunzieren die geheimen Absprachen zwischen dem malischen Staat und dem Innenministerium. Es geht um die Ausstellung von Passierscheinen, wodurch die Ausweisung der Sans-papiers in die Wege geleitet wurde.

   

 

     
   

Endlich frei!

In der Nähe des Flughafens befindet sich ein von der Polizei streng bewachter Ort, schwer zu finden. Sans-papiers sind dort eingesperrt, sie warten darauf, in ihre Ursprungsländer ausgeschafft zu werden. Einige haben das Glück, durch Gerichtsbeschluss freizukommen, oder weil der Konsul ihres Landes den Passierschein nicht unterschreiben wollte, mit dem sie ausgeschafft werden könnten.

Um 18 Uhr werden zwei Sans-papiers freigelassen, zwei weitere um 21 Uhr und wir, eine kleine Gruppe von Leuten holen sie ab. Vor den Gittern winke ich den Afrikanern zu, die ich weit hinten, hinter einem andern Gitter, stehen sehe. Auch sie winken mir zu. 

accueillir

Unsere beiden Freunde haben 32 Tage in diesem Zentrum verbracht, sie sind überglücklich, freizukommen und aufgenommen zu werden. Sie reisen mit leichtem Gepäck: eine einfache Tasche. Im Auto hören wir keine einzige Klage von ihnen. Sie können es kaum erwarten, die Ihren wieder zu sehen und all die Leute, die die Turnhalle besetzt halten.
Sie können als Sieger kommen, weil sie nicht die Demütigung der Ausweisung erleiden mussten. Das gibt ein Fest.
Aber dann folgt die kalte Dusche: Wir sind schon fast da, da sehen wir Polizeiautos und zahlreiche Beamte. Sofort ändern wir die Richtung, lassen den Wagen stehen und gehen zu Fuß zur Turnhalle. Es wird Nacht.

police partout Was ist passiert? Ein Familienvater wollte sein Kind am Eingang der Schule abholen und während er wartete, ist er von der Polizei verhaftet worden. Der Protest ließ nicht lange auf sich warten.
Das Fest wird ein anderes Mal stattfinden!