Logbuch: Februar 2006

  Im Restaurant Die Rallye Paris-Dakar, eine Schamlosigkeit
  Verurteilung Besetzung eines Gebäudes
 

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Im Restaurant

Eine deutsche Bekannte lädt mich ins Restaurant ein. Wir nehmen Platz. Mir fällt im Saal ein runder Tisch auf, an dem zwei junge Paare und ein älterer Herr sitzen. Während dem Essen stehen sie mehrmals auf, um zu fotografieren. Zweifellos ein Familienfest. Alles läuft in grösster Einfachheit ab, ohne überschwängliche Freude oder lautes Lachen, das die Aufmerksamkeit der anderen Gäste erregen würde.
Nach dem Essen verlasse ich das Restaurant und kaum bin ich draußen, werde ich von einer jungen Frau eingeholt, ich erkenne sie wieder, sie war am runden Tisch. Und sie bringt aus ganzem Herzen ihre Frage vor: "Wären Sie einverstanden, sich mit meinem Vater fotografieren zu lassen?
 
silence Er wäre glücklich darüber und wir auch. Mein Vater hat Alzheimer. Heute ist sein Geburtstag, er hat für diesen Anlass das Altersheim verlassen können." 

Ohne zu zögern kehre ich ins Restaurant zurück, um mich mit dem Alzheimerkranken fotografieren zu lassen. Er macht einen etwas verlorenen Eindruck, aber sein Gesicht strahlt Glück aus, die Freude in seinen Augen ist offensichtlich. Wir halten einander beim Arm.
Dieser Familienvater, der seinen Geburtstag feiert, ist zufrieden; dass er von den Seinen umgeben ist, von denen er sich geliebt weiß.
 
Schweigend stehen wir da, ohne ein Wort miteinander zu wechseln. In dieser Stille spürt jeder die Gegenwart des andern.
In dieser Emmaus-Gaststätte entdecken wir die Größe und Bedeutung des gegebenen Zeichens: das Zeichen der geteilten Liebe.
 

amour partagé

     
   

Die Rallye Paris-Dakar, eine Schamlosigkeit

Vor etwa zwanzig Jahren haben der Abbé Pierre und ich anlässlich einer Pressekonferenz die Rallye Paris-Dakar als eine Beleidigung bezeichnet. Eine Beleidigung für die Bewohner der afrikanischen Länder.

Dieses Sportereignis, ein Abenteuer für Wohlhabende, durchquert Länder, die vom Elend gezeichnet sind, von Aids und Überschuldung. 

insulte pour les habitants

Ein australischer Motorradfahrer ist in der mauretanischen Wüste tödlich verunglückt. Zwei afrikanische Kinder sind von Fahrzeugen, die durch die Dörfer rasten, getötet worden.
Der Sänger Renaud nimmt kein Blatt vor den Mund: "Cent connards sont sur la ligne de départ" (Hundert Blödmänner am Start). Möge sein neues Lied gehört werden!
Die Rallye Paris-Dakar ist in allen Medien. Wenn ich im Fernsehen in der Tagesschau dieses auf afrikanischen Pisten abgehaltene Massenrennen sehe, denke ich an all die jungen Afrikaner, die in unseren europäischen Ländern zum Untertauchen verurteilt sind oder ausgewiesen werden.

oser le changement Es ist auch eine Verschwendung von natürlichen Ressourcen. Heute wagt man es, von Wachstumsabnahme zu sprechen. Dafür ist ein anderes Verhalten nötig, der Respekt vor den natürlichen Ressourcen ist gefragt. Es geht um eine radikale gesellschaftliche Veränderung. Hin zu einer Gesellschaft, wo es weniger Güter, aber mehr Solidarität gibt ("moins de biens et plus de liens"). Die Abschaffung der Paris-Dakar-Rallye würde ein Zeichen setzen. 

   

 

     
   

Verurteilung

Wir - eine recht zahlreiche Gruppe - warten im Gerichtssaal auf das Urteil für Hassan, Lehrer und Delegierter der nationalen Koordination der Sans-papiers.
Die Gerichtspräsidentin ruft verschiedene junge Leute auf; alle werden schuldig gesprochen. Nun ist Hassan an der Reihe - wir halten den Atem an.

condamnation
Auch er wird zu einer Strafe verurteilt: ein Monat Gefängnis mit Bewährung und eine Busse von 590 Euro. Ein harter Schlag. Die Enttäuschung ist groß.
Ihm wird vorgeworfen, auf einem Polizeikommissariat drei Beamte beleidigt zu haben. 

Hassan hatte sich auf dieses Kommissariat begeben, um sich nach einem Sans-papier zu erkundigen, der verhaftet worden war.
Er hat immer bestritten, die Polizisten beleidigt zu haben. Aber was gilt sein Wort gegen die Aussage der Polizeibeamten? Polizeibeamte, die sich vor Gericht nie haben blicken lassen?
Hassan hat einfach Klage erhoben, weil er dort geschlagen worden war. Ein Arzt hat ihm ein Zeugnis ausgestellt: 5 Tage arbeitsunfähig.

Wir gehen in ein Café unweit des Gerichtsgebäudes, um uns zu trösten. "Ein so hartes Urteil hatte ich nicht erwartet", sagt Hassan. Er riskiert eine Berufung.

   

 

     
   

Besetzung eines Gebäudes

immeuble occupé Notdürftig untergebrachte Familien oder solche, denen die Vertreibung aus der Wohnung droht, sind ins Zentrum von Paris gekommen, um den ehemaligen Sitz der Zeitung "Le Monde" zu besetzen; hier soll die Planungs- und Baubehörde OPAC einziehen. 

Das Gebäude steht seit Monaten leer. An diesem Sonntagnachmittag herrscht Ruhe in den Straßen. Das ändert sich mit der Ankunft der Demonstranten, sie bringen Stimmung ins Quartier. Die meisten dringen ins Haus ein, die andern besetzen die Straße, entfalten Spruchbänder, verteilen Flugblätter, um den Sinn ihrer Aktion zu erklären. Die Musiker und Trommler, die sind schon bei der Arbeit.

Jetzt sieht man Polizeiautos herannahen. Die mit Gummiknüppeln bewaffneten Polizisten stürmen auf die Demonstranten los, die nun ins Haus flüchten. Aber es gelingt nicht allen, sich in Sicherheit zu bringen. Ein junger Trommler wird misshandelt, seine Trommel wird beschlagnahmt. Diejenigen, die im Gebäude sind, können nicht mehr heraus und die, die draußen sind, können nicht mehr hinein.
Die Zeit vergeht. Ich bin im Hausinnern. Ich friere an den Füßen, aber mein Herz brennt.
Nach mehreren Stunden steigen die Polizisten wieder in ihre Auto, sie haben den Befehl zum Rückzug erhalten.

Die, die auf der Straße geblieben sind, geben ihrer Freude Ausdruck, sie winken den Polizisten zum Abschied zu und singen im Chor: "...wir sehn uns wieder, Brüder..." 

droit au logement

Die Verhandlungen kommen in Gang. 200 Anträge auf eine Notunterkunft sind zu bearbeiten.
Wir bekommen Recht. Im Laufe des Jahres werden die Familien eine Wohnung erhalten.