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Ort der Stille
- Wie jedes Jahr habe ich mich in
ein Benediktinerkloster zurückgezogen, um zur Ruhe zu kommen
und zu beten. Die Menge verlassen und in die Einsamkeit gehen.
Es ist schon gesagt worden, Jesus hätte in seinen Begegnungen
mit der Menge nicht so weit gehen können, wenn er nicht
so weit in die Einsamkeit hinein gegangen wäre. Jesus hat
es sich nicht nehmen lassen, in die Wüste zu gehen. Er verspürte
das Bedürfnis, sich abzusondern und zu beten.
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Ich verspüre dasselbe Bedürfnis
und mache täglich lange Spaziergänge in den Wäldern,
die das Kloster umgeben. |
Ich schätze es sehr, Teil einer betenden Gemeinschaft zu
sein. Die Mönche nehmen mich auf wie einen der Ihren. Ich
nehme am Stundengebet teil, das ihren Alltag begleitet, außer
an der Vigil, die um zwei Uhr nachts gebetet wird.
Ich folge der Einladung des Abtes, der Eucharistiefeier vorzustehen
und vor den versammelten Mönchen zu sprechen. Diese brennen
darauf, Neuigkeiten aus der Welt draußen zu erfahren. Sie
erinnern sich noch an die Berichte vom letzten Jahr. Sie hören
aufmerksam zu, als ich von der Situation de Sans-papiers rede
und von den schlecht untergebrachten Familien.
Einer von ihnen fragt sich: "Im
Kloster habe ich alles, was ich zum Leben brauche. Meine Zukunft
ist gesichert. Wie könnte ich da arm sein?" |

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Ein Ort der Brüderlichkeit
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Ich soll in einer Freimaurerloge einen Vortrag halten. Der
Großmeister empfängt mich gegen Abend und bringt mich
in seinem Wagen an den Begegnungsort. |
"Es werden viele da sein heute Abend", sagt
er zu mir. "Freimaurer von andern Logen und auch Frauen.
Komisch, wenn ich einen Kirchenmann einlade, ist das Haus voll.
Letztes Mal hatte ich eine Persönlichkeit eingeladen, die
eine wichtige Funktion beim Fernsehen ausübt, im Sektor
Kommunikation. Es hatte kaum Zuhörer. Aber alles, was mit
der Kirche zu tun hat, zieht die Leute an."
Das Haus der Freimaurer ist ein mehrstöckiges Gebäude.
Ich mache zuerst einen Rundgang im Untergeschoß, wo "Freimaurer-Lehrlinge"
in der Küche für 110 Personen das Essen zubereiten!
Aber dann muss ich in den Tempel, um über das gewünschte
Thema zu sprechen: "Laizismus und katholische Kirche".
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Die Teilnehmer lassen den Laizismus beiseite, um sich auf
die Kirche zu konzentrieren. Auf ihren Reichtum an Symbolen,
Riten, Mysterien, Spiritualität. |
Alles Elemente, die bei den Freimaurern hoch im Kurs stehen.
Trotz ihrer Kritik an den Dogmen und der Einengung der Freiheit
bei den Christen können sie der Kirche nicht gleichgültig
gegenüberstehen.
Auf die ernsten Dinge folgt der Aperitif und das Essen. Die Freude
am Zusammensein ist ansteckend. Diese Leute nehmen sich Zeit,
um die Geselligkeit zu pflegen.
"Es ist sehr wichtig für mich, diesen Ort der Brüderlichkeit
zu haben", sagt mir einer von ihnen. Hier fühle ich
mich geborgen und man hört mir zu."
Es ist beinahe zwei Uhr morgens - die Mönche versammeln
sich gerade zur Vigil -, als mich einer der Freimaurer zu sich
nach Hause fährt, wo ich übernachten kann. |
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Der Tod eines Freundes
Von Olivier, der uns im Alter von 48 Jahren verlassen hat,
bleiben mir drei Bilder in Erinnerung.
Als er bei seiner Hochzeitsfeier das Jawort sprechen sollte,
hinderten ihn die Tränen am Reden. Die Emotionen waren übermächtig,
und er zeigte uns seine Zerbrechlichkeit. Es war eine Überraschung
für mich, denn das sah ihm gar nicht ähnlich. Mitten
in der Feier ließ er uns seine Menschlichkeit spüren.
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Olivier hat sich stark für die Association Partenia engagiert,
die damals ihren Sitz in einem großen Haus hatte, wo Sans-papiers
Zuflucht gefunden hatten.
Oft kam er am Nachmittag vorbei, um sich mit ihnen zu unterhalten.
Er holte seine Tabakpfeife heraus und diskutierte lange mit ihnen.
Ich merkte, wie gern er dort war. Olivier ließ es zu, dass
die Sans-papiers in sein Leben eindrangen. Und das veränderte
ihn als Mensch und als Glaubenden. |
Schließlich die Bestattungsfeier, die in einer friedlichen
und von Hoffnung geprägten Atmosphäre stattfand. Jesu
Worte erreichten die Anwesenden wie der Same, der auf gute Erde
fällt: "Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen".
Viele Journalistik-Studenten kamen, um ihrem Dozenten die letzte
Ehre zu erweisen. Olivier liebte es, das Wort zu ergreifen. Jetzt,
da er in das große Schweigen des Todes eingetreten war,
erhob sich einer seiner Schüler, um zu reden. Die Nachfolge
war gesichert. |
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Theologie der Befreiung
In Bern hat sich die Bewegung sozial
engagierter Christen versammelt, um über die Befreiungstheologie
nachzudenken, die Theologie, die von der Welt der Armen und Unterdrückten
ausgeht; sie sind es, die ihre eigene Befreiung in die Hand nehmen.
Wie kann das, was in Lateinamerika und in anderen Ländern
geschehen ist, unser Handeln beeinflussen?
Das Publikum war Gold wert. Männer
und Frauen, sie sich seit Jahren für die Allerärmsten
engagieren: Arbeitslose, Aids- und Drogenkranke, Sans-papiers...
Sie nehmen einige Risiken auf sich, um denen zu helfen, die in
Gefahr sind. Reformierte und Katholiken arbeiten Hand in Hand,
sie wollen nur eines: den Ausgestoßenen zur Seite stehen.
Ihre Aussagen waren beeindruckend. Und man begnügte sich
nicht mit schönen Reden, es wurde auch von den gemeinsam
geführten Aktionen gesprochen. Man sah: Diese Frauen und
Männer wurden von der Kraft des Evangeliums angetrieben.
Unter den Anwesenden befand sich
auch ein reformierter Pastor, dessen Worte einen großen
Eindruck hinterließen. Obwohl die Gesetze immer härter
werden, hat er keine Angst zu handeln.
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Ich erinnere mich mit Dankbarkeit, wie
er mich vor einigen Jahren in Bern aufgenommen hat. Es war am
Reformationssonntag. Er hatte mich eingeladen, in seiner Kirche
zu predigen und mit ihm den Gottesdienst zu feiern. Dort hatte
eine Gruppe von Sans-papiers Zuflucht gefunden. Dieser Pastor
hatte den Mut gehabt, sie aufzunehmen und zu verteidigen. |
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