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- Drei Fragen an Jacques
Gaillot
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- Einer der Führer der französischen
Sans-papiers ist vor kurzem bei einem Verkehrsunfall in Afrika
ums Leben gekommen. Du hast soeben in der Kirche Saint-Bernard
für ihn eine Gedächtnismesse gefeiert. Diese Kirche
war ja lange von den Sans-papiers besetzt gehalten worden.
Alle Papierlosen des Hauses "Maison des Ensembles"
in Paris, wo sich Partenia stark engagiert hat, haben nun gültige
Papiere. Wie ist deiner Meinung nach die jetzige Situation der
Sans-papiers?
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Bei den meisten von denen, die ich seit
zehn Jahren kenne, sind die Papiere in Ordnung gebracht worden.
So ist es auch bei den Besetzern des Maison des Ensembles. |
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- Ein langer und schwieriger Weg!
Aber es gibt einen Ausweg. Zusammen kämpfen - das bringt
oft den Sieg.
Heute sind die Gesetze repressiver, in Frankreich wie auch in
den andern Ländern der Europäischen Union. Aber es
kommen immer noch Ausländer zu uns, manchmal setzen sie
dabei ihr Leben aufs Spiel. Kein Gesetz, keine Polizei wird sie
daran hindern können, dem Elend zu entfliehen und in unsere
reichen Länder zu kommen.
Gegenwärtig läßt sich die Öffentlichkeit
kaum noch für die Sache der Sans-papiers mobilisieren. Dadurch
wird die Arbeit der Hilfsorganisationen erschwert. Die Sans-papiers
nehmen aber mehr und mehr die Sache selber in die Hand. Es geht
um sie, und sie nehmen ihre Verantwortung wahr.
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Der Mann aus Benin, der in Cotonou bei
einem tragischen Autounfall ums Leben gekommen ist, war der lebendige
Beweis dafür. Ich habe ihn gekannt, als er keine Papiere
hatte. Ich habe ihn vor Gericht gesehen, im Gefängnis, bei
allen Veranstaltungen. Als Wortführer der nationalen Koordination
der Sans-papiers war er zum Hoffnungsträger der Armen geworden.
Der Polizeipräfekt hat seine Verdienste gewürdigt. |
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- Bald ist in Frankreich "Winterpause";
die Menschen, die in notdürftigen Unterkünften Unterschlupf
gefunden haben, dürfen nicht rausgeworfen werden und können
bis zum Frühling aufatmen. Dennoch irren Tausende in den
Straßen der Großstädte herum. Was hältst
du von dieser Gesellschaft, die so vielen Menschen kein Obdach
gewährt?
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- Zehntausenden von Familien droht
durch Gerichtsbeschluss der Hinauswurf. Sie müssen ihre
Wohnung verlassen, freiwillig oder von der Polizei und den Gerichtsvollziehern
gezwungen. Sie müssen herumirren. Warum? Weil sie das Geld
für die Miete nicht aufbringen.
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Man stellt eine Zunahme dieser Vertreibungen
fest. Immer mehr Leute sind in einer prekären Situation
(ich denke an die allein stehenden Mütter) und die Mieten
steigen. Diese "Winterpause" ist schon in Ordnung,
aber das Grundproblem wird damit nicht gelöst. |
Die Mehrheit der Franzosen wohnt anständig. Solange diese
Mehrheit über das Unglück dieser Minderheit nicht unglücklich
ist, wird nichts passieren.
Es bräuchte eine massive Bautätigkeit
für Sozialwohnungen: Aber davon ist nicht die Rede. Für
Waffen und Kriege gibt es immer genügend Geld, aber nicht
für den Bau von Sozialwohnungen. |
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- Eine Gesellschaft, die nicht fähig
ist, ihre schwächsten Glieder zu achten, wird nicht im Frieden
leben können.
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- Viele Vereinigungen setzen sich
für die "...-losen" ein. Auch die Kirchen. Welches
ist für dich der Text, der die Gläubigen besonders
eindringlich dazu aufruft, sich an die Seite der "...-losen"
zu stellen?
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Es gibt das unausweichliche Wort Jesu:
"Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen". Diese
Worte sind ein wunderbares Geschenk. Es sind ökumenische
Worte, die jeden berühren. Die Sans-papiers kennen und schätzen
sie. Deshalb besetzen sie eher Kirchen als andere öffentliche
Gebäude. |
Der afrikanische Wortführer, der vor kurzem ums Leben gekommen
ist, war katholisch. Jeden Sonntag nahm er an der Eucharistiefeier
teil. Er konnte nicht nahe bei Christus sein und zugleich die
Fremden meiden.
Der Gottesdienst in der Kirche Saint Bernard, bei dem Aktivisten,
Gewerkschafter und Papierlose zugegen waren, zeigte das Bild
einer engagierten Kirche, die diejenigen aufnimmt, die von der
Gesellschaft im Stich gelassen werden.
- (Interview: Olivier Robert)
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