Brief vom 1. Dezember 2001

 
Reise nach Bethlehem
 

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REISE NACH BETHLEHEM
 
Wieder ein Weihnachtsfest ohne Geschenke in Bethlehem?
 
Georges Vimard  1987 kam Georges Vimard kam als vierzigjähriger Priester aus dem Département Calvados nach Evreux. 
 
Er verfolgte aufmerksam Jacques Gaillots verschiedene Initiativen zugunsten des palästinensischen Volkes (Begegnung mit Arafat in Tunis 1985, Teilnahme an der Schiffsaktion für die Rückkehr 1988, Treffen von PLO-Vertretern in Evreux, darunter auch Frau Arafat, Kette des Friedens in Jerusalem 1989).  J.Gaillot und Yassir Arafat
 
Georges hatte dem Bischof von Evreux oft gesagt: "Eines Tages werde ich dorthin fahren ..." Im Januar 1995, zum Zeitpunkt von Gaillots Absetzung durch Rom, wagt er den Schritt. Fidei Donum! Nach sechs in Palästina verbrachten Jahren ist er zurück in Frankreich und teilt uns seine Erfahrungen und Gedanken mit.
 
Wie ist die Lage in Palästina bei deiner Ankunft im September 95?
 
In Bir Zeit nehme ich am ersten freien Weihnachtsfest der Palästinenser seit 1948 teil. Wie man auf dem im Dezember 95 in Ramallah aufgenommenen Foto sieht, sind palästinensische Vertreter verschiedener Richtungen in der Freude vereint. Die Verträge von Oslo (1993) sollen in Kraft treten.
 
Abzug aus Gaza  Die israelische Armee zieht aus Gaza ab, aber auch aus Bethlehem und Jericho. Am Weihnachtstag ergreift Arafat zum ersten Mal in Bethlehem das Wort: 
 
Er wird als Chef der palästinensischen Behörde anerkannt. Die Hoffnung ist riesengroß, denn die Menschen sehen, wie die israelischen Truppen Territorien verlassen, die sie seit 1967 besetzt hielten.
 
Wie geht es weiter?
 
Die Hoffnung auf Befreiung dauert nur drei Monate. Nur ein Viertel der in Oslo versprochenen Territorien werden zurückgegeben.  no war 
 
Drei Jahre später wird Lionel Jospins Wagen in Bir Zeit mit Steinen beworfen; es soll ausdrücken, wie sehr die Leute von den internationalen Behörden enttäuscht sind, die nicht in der Lage sind, die Osloer Verträge durchzusetzen! Aber die Steine richten sich auch gegen die Korruption in Arafats Umfeld. Das an Weihnachten 95 gefeierte Oberhaupt hat viel von seiner charismatischen Aura eingebüsst.
 
Was machst du im Jahre 1996?
 
Ich setze mein Arabisch-Studium fort und entdecke die Vitalität der Einwohner, die Verschiedenheit der Kulturen - arabisch, christlich, jüdisch -, vor allem die Schwierigkeiten eines besetzten Landes. In Gaza zählt man 1,2 Millionen muslimische Araber und etwa 2000 Christen, in Zisjordanien leben 80 000 Christen unter 2 Millionen Moslems. Zu dieser christlichen Minderheit, die aber sehr aktiv, hat mich der Patriarch von Jerusalem gesandt.
 
palestinensische Schüler  Im Seminar von Beit Jala bei Bethlehem begegne ich 70 jungen Arabern von 12 bis 16 Jahren, die sich aufs Seminar vorbereiten, und 30 Seminaristen, dies sich auf den Priesterberuf vorbereiten, den sie in Palästina und Jordanien ausüben werden. Da ich mitverantwortlich bin für ihre Ausbildung, muss ich als Patriarchatspriester auftreten und trage das Kreuz und den römischen Kragen.
 
In dieser Gesellschaft, wo das religiöse Element eine so grosse Rolle spielt, ist die schwarze Soutane immer noch ein Identifikationsprinzip des katholischen Priesters, aber die Gesinnung ist nicht so steif wie die Kleidung! Die Jungen und ihre Familien machen sich meine Bewegungsfreiheit gern zunutze. Als Franzose mit ordnungsgemäßen Papieren kann ich mich leichter im Land bewegen. Sehr oft betätige ich mich also als "Fluchthelfer" für Leute, die sich sonst nicht frei bewegen können!
 
Was beinhaltet diese neue Tätigkeit für dich?
 
Die von den Osloer Abkommen (1993) vorgesehenen beiden Straßen zwischen dem Gaza-Streifen und dem Zentrum (Ramallah) und dem Süden (Hebron) von Zisjordanien hätten diese beiden Territorien aus ihrer Isolation befreien sollen! Und sie sind nicht gebaut worden!
 
Ich muss also die israelischen Straßen benutzen, mit zahlreichen Schranken und Kontrollen. Ich spiele den Briefträger für palästinensische Familien, die auseinandergerissen sind. Ich transportiere Wäsche, Post, Konfitüre ...   Schranken und Kontrollen
 
Die Palästinenser brauche jedesmal einen von der Militärverwaltung in Jerusalem ausgestellten Passierschein! Ich fahre also zum Ministerium, um meinen Freunden die Papiere zu beschaffen, die ihnen dauernd fehlen. Eines Tages hole ich für einen Studenten auch ein Physikbuch. Ein israelischer Wachsoldat untersucht mich und lässt mich drei Stunden warten, denn "damit kann man Bomben bauen"!
 
Und Jerusalem? Die Stimmung dort? Die Teilungen?
 
in Ostjerusalem  Patriarch Michel Sabbah hat mich 1997 nach Ostjerusalem geschickt. Es ist der arabische Stadtteil, der aber 1967 von Israel annektiert wurde.  
 
Im "Haus Abrahams" kümmere ich mich um den Empfang und die Lebensmittelversorgung. Hier können arme Pilger logieren, zum Teil wird das Haus vom französischen Konsulat und von einer katholischen Hilfsorganisation unterstützt (Secours catholique). Zugleich bin ich als Seelsorger am französischen Gymnasium tätig: zweihundert Schüler! Während der Pause hört man auf dem Schulhof verschiedene Sprachen: Hebräisch, Arabisch, Englisch, Italienisch … und Französisch.
Was mir aber am meisten auffällt, ist die organisierte Präsenz Israels in Jerusalem. Seine westliche Vorherrschaft mitten in der orientalischen Welt. Die christlichen Ausländer-Gemeinschaften sind nicht alle einer Meinung, die Teilung ist sowohl im politischen wie auch im religiösen Sinn bemerkbar.
 
Wie ertragen die Palästinenser von Jerusalem die Präsenz Israels? Welche Rolle könnte dem Lateinischen Patriarchat inmitten der Gewalt zukommen?
 
Um ihre Verwandten in Gaza zu besuchen, organisieren die Palästinenser von Jerusalem Kollektivtaxis. Mittwochs fahre ich oft mit: Patriarch Sabbah gibt mit verschiedene Aufträge, ich besorge Sachen für seine Priester, die in Zisjordanien, in Bethlehem oder Gaza leben. Etwa achtzig Priester hat er unter sich, und die Kommunikationsprobleme der zersprengten Herde sind vielfältig … Monseigneur Sabbahs Ziel ist die Vorbereitung der Zukunft: ein Land, in dem Palästinenser und Israelis vertrauensvoll und friedlich nebeneinander leben.
In Gaza begegne ich zum ersten Mal Manouel Mussalem, ein katholischer Priester, Palästinenser, der in seiner Pfarrei für eine Schule mit 1000 Schülern verantwortlich ist. Abouna Manouel, ein Freund von Arafat, ist eine höchst interessante Persönlichkeit, eine Art Raymond Devos. Die Rede des Palästinenserchefs beim Papstbesuch stammt aus seiner Feder! In seiner gemischten Schule nimmt er seine jungen Landsleute auf, ob sie nun Christen oder Moslems sind. Jeden Morgen versammeln sich die Kinder auf dem Schulhof. Die palästinensische Flagge wird gehisst, machtvoll erschallt die Nationalhymne.
 
Unter dem Dach haben junge muslimische Künstler ein Bild des Auferstandenen gemalt. Er weckt die Welt, in der ausgestreckten Hand hält auch er eine palästinensische Fahne.  Der Auferstandene
 
Auf beiden Seiten der Abbildung stehen die arabischen Worte: "Almasih koum wachaabi sayakoum" - "der Messias ist auferstanden und mein Volk wird auferstehen". Das zeigt, wie sehr in Palästina Religion und Politik miteinander verbunden sind!
 
Kommt in diesem kriegsgeschüttelten Land noch Weihnachtsfreude auf?
 

Weihnachten in Palästina 
 
Vor einem Jahr (2000) lud mich Manuel ein, am Weihnachtsabend an einer Lichterstafette teilzunehmen. In der Geburtsgrotte von Bethlehem hat Patricarch Sabbah eine Fackel entzündet, die mir im Trappistenkloster von Latroun übergeben wird. Die Hälfte des Weges bis Gaza ist bereits zurückgelegt. Ich trage sie bis zu Manuels Kirche. In strömendem Regen passiere ich verschiedene israelische Posten. Die Soldaten lachen über meine schwankende Funzel.
Aber dieses Licht verbreitet etwas von der verrückten Hoffnung, die vor 2000 Jahren aufkeimte. Während ich es mit meinem Regenschirm schütze, denke ich auch an das Gebet des Dominikaners J.B Humbert: "Muss man in diesem firedlosen Land immer Ketten zerreißen, um seine Freiheit zu erringen? Vielleicht, aber vor 2000 Jahren in Bethlehem, während sich die Menschen zerfleischten, kam die Freiheit in Gestalt eines kleinen Kindes in einem Hinterzimmer zur Welt (Bethlehem 2000 Jahre Passion).
 
Der vorherrschende Eindruck ist doch heute eher von terroristischer und militärischer Gewalt geprägt, die keinen Hoffnungsschimmer zulässt?
 
Der Hoffnungsschimmer, der im Jubiläumsjahr aufleuchtete, beim Besuch des aPapstes und von Clinton, scheint wirklich erloschen zu sein. Als uns Timothy Radcliffe in Gaza besuchte, der Generalobere der Dominikaner, sagte er uns, dieses Land erinnere ihn an das riesige New Yorker Gefängnis von Ricker's Island, wo mehr als 12 000 Gefangene inhaftiert sind! Die Palästinenser sind in ihrem eigenen Land wie im größten Zuchthaus der Welt! Der Gaza-Streifen ist in drei Sektoren zerstückelt worden, und manchmal führt der einzige von der israelischen Armee bewilligte Durchgangspfad durch den nassen Sand am Meeresufer.
 
Wie lebt es sich in Gaza?
 
Von 1998 bis 2000 wohnte ich in Chateh in einem der acht Lager für palästinensische Flüchtlinge (es sind 600 000!). In einem Heim der Schwestern von Mutter Teresa beteiligte ich mich an Haushaltsarbeiten, machte Besorgungen, die für die Aufnahme von bedürftigen Alten und verlassenen Kindern nötig sind. Einmal lud mich eine muslimische Familie - Geschäftsleute - zum Essen ein.
 
Den Lärm und die Enge in diesen Lager-Labyrinthen sind kaum vorstellbar. Auf den Quadratkilometer kommen 60 000 Bewohner!  Camps
 
Der israelische Besatzer hat nicht nur das Territorium in drei isolierte Teile zerstückelt, seine 5000 Siedler haben sich auch 40% des fruchtbaren Bodens angeeignet. Abgesehen von den Geschäftsleuten, etwa 2000 orthodoxe Christen, ist dort vor allem Platz für viel Elend. Die UNO versorgt die Lager der Flüchtlinge mit Medikamenten, Wasser, Schulmaterial.

in Gaza  Die Kinder spielen natürlich fröhlich in diesem Gewirr, aber es ist schrecklich für sie zu wissen, dass ihr Vater oder ihre älteren Brüder dauernd bedroht sind, weil sie gegen die israelische Armee rebellieren. Ich habe gesehen, wie sich die Kinder seit meinem ersten Besuch verändert haben. Die Begeisterung der Jugend wich einer kalten Gleichgültigkeit, einem politischen Desinteresse und einer großen Skepsis Arafat gegenüber.
 
Manchmal las ich in ihren Gesichtern auch einen leisen Vorwurf: Ich war ja nur vorübergehend hier, in meinem Land ist die Gewalt nicht allgegenwärtig!
 
Gibt es Hoffnung? Gibt es eine positive Bilanz, die du ziehen kannst?
 
Der Friede, den sich die Menschen 1995 erhofften, hat sich nicht eingestellt! Durch den Druck den die jüdischen Siedler ausüben, entsteht nach und nach eine Art Apartheidregime, was eigentlich inakzeptabel ist.
Dem steht die Reaktion der Terroristen gegenüber. Aber das palästinensische Volk ist reich an menschlichen Ressourcen, vielfältig, tief religiös, aber auch offen für den Dialog zwischen den Religionen und selbst für laizistische Strömungen. Die Suren des Korans liegen in den Läden auf, in den Taxis, werden im Radio meditiert. Allerdings kommt es vor, dass einige Mitglieder derselben Familie zur Moschee gehen und andere nicht. Das ist ein Zeichen von Offenheit und Toleranz, für die Fähigkeit des palästinensischen Volkes, der Walze des intellektuellen und spirituellen Terrorismus zu widerstehen.
 
Gibt es Anzeichen für eine Annäherung zwischen den beiden Völkern?
 
Es ist paradox, aber solche - allerdings schwache, aber doch vielversprechende - Hoffnungszeichen habe ich ausgerechnet in den israelischen Gefängnissen beobachten können, zu denen ich als Gefängnisseelsorger Zutritt hatte. Die Direktorin einer Anstalt bei Haifa ermuntert mich, einen jungen Kolumbianer zu besuchen, der als Drogenhändler verurteilt wurde und der Verzweiflung nahe ist, ein israelischer Anwalt, Kämpfer für die Menschenrechte, französischer Jude, Mickaël War… denkt immer noch, dass ein binationaler Staat möglich ist in Palästina, er glaubt an die Utopie des "andalusischen Traums" ("Le rêve Andalou" heisst eines seiner Bücher), wo die arabische, die jüdische und die christliche Kultur wie im 12. Jahrhundert nebeneinander existieren können. Ich denke auch an Malika, eine muslimische Aktivistin in Gesundheitsfragen, die die mit Unterstützung des CCFD die Ausbildung ihrer Schwestern in den ärmsten Dörfern von Zisjordanien und Gaza organisiert.
Die Energie dieser Frauen und Männer stellt die Zukunft sicher, bereitet den Frieden vor mitten im Krieg und wird den fatalen Verlauf der Dinge stoppen. "Das Einzige, was Israel Sicherheit geben kann", schreibt Mgr Sabbah, "ist die Freundschaft des palästinensischen Volkes. Eine Freundschaft, die Israel nur gewinnen kann, wenn es dem palästinensischen Volk seine Freiheit wiedergeben kann ... und sein Land."
 
Was kann man von Frankreich aus, von Europa aus tun? Werden die Kirchen aktiv?
 
Es ist wichtig, dass die internationale, europäische Solidarität andauert, dass die humanitären Organisationen ihre Unterstützung durch Hilfsgüter und Menschen aufrechterhalten, damit Palästina nicht in ein von der Welt abgeschlossenes Lager verwandelt wird.
 
zu Besuch 
J. Gaillot und eine Schwester der Gemeinschaft des Père de Foucault
besuchen
eine moslemische
Familie
 
Dass Jacques Gaillot, Bischof von Partenia, in den letzten beiden Jahren zweimal an diesen Reisen teilgenommen hat, wo für Solidarität und gegen die Isolation demonstriert wird, hat mich gefreut und gestärkt, und mir die verschiedensten Leute, die sich um Wahrheit und Frieden bemühen.
Mir scheint, die Haltung des Bischofs von Partenia steht im Einklang mit den Ratschlägen, die Michel Sabbah, der Lateinische Patriarch von Jerusalem, im Oktober 2001 bei der Eröffnung der römischen Synode erteilte: "Auf dem Gebiet der Gerechtigkeit und des Friedens, soll der Bischof, wo Hass und Tod herrschen, die Liebe Gottes bekannt machen ... Aber dazu muss man oft gegen den Strom schwimmen, sich der öffentlichen Meinung widersetzen, die in einer Region oder sogar weltweit vorherrscht. Vom Bischof wird gefordert, dass er der Prophet ist, der die richtigen Worte findet sowohl für den Unterdrücker wie auch für die Unterdrückten … Er kann schwach werden und sich damit begnügen, den Schwachen zu trösten und ihm seine Sympathie zu bezeugen, weil er Angst hat, zur Tat zu schreiten, die nötig ist, um dem Starken die Augen zu öffnen für die Gerechtigkeit. Der Bischof hat die Pflicht, der Gesellschaft im Kampf gegen den Terrorismus beizustehen. Er hat die Pflicht, ihm beizustehen bei der Aufdeckung der Wurzeln des Bösen: die politischen Ungerechtigkeiten, zum Beispiel das Schicksal des palästinensischen Volkes und das Wirtschaftsembargo gegen den Irak, das Millionen von unschuldigen Menschen das Leben schwer macht, und alle Arten von sozialer Ungerechtigkeit, die die Welt in Arme und Reiche teilt. Das sind die Ursachen des Terrorismus." Diese Worte erinnern uns sehr stark an das, was J. Gaillot nach den Ereignissen des 11. September 2001 gesagt hat. Und deshalb möchte ich an Euch alle einen Aufruf richten. Wann findet über diese Themen der Solidarität eine parallele Synode statt …an der alle "Partenianer" dabei sind?

Geoges Vimard 

Fotos G. Vimard