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- Die Heilige Familie
- Matthäus 1, 18ff., Lukas
1, 26-39; 2, 41-51
Unter der Bezeichnung Heilige Familie wird die aus Jesus,
Maria und Josef bestehende Familie in der nachweihnachtlichen
Liturgie und der Volksfrömmigkeit als Beispiel dargestellt.
Ist dies nicht etwas erstaunlich, denn was ist das eigentlich
für eine Familie?
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Die familiären Bande, die sie vereint, sind alles
andere als einfach. Maria ist wohl die Mutter von Jesus, aber
die Umstände, unter denen sie ihn empfangen hat, sind und
bleiben geheimnisvoll. Es ist ein Engel, Gabriel, das heißt
jemand, der als Bote Gottes empfunden wird, der Maria diese zukünftige
Geburt ankündigt. Ist er der Übermittler dessen, den
er zurückhaltend den "Schatten des Höchsten"
nennt, denn auf Marias Frage: "Wie soll das geschehen, da
ich mit keinem Mann zusammen bin" antwortet er selbstsicher:
"Der heilige Geist wird über dich kommen, die Kraft
des Höchsten wird dich überschatten"? Solche von
Engeln gemachte Ankündigungen findet man auch in der Geschichte
von Sarah, Abrahams Frau und Isaaks Mutter, oder bei Elisabeth,
der Verwandten von Maria und Mutter von Johannes dem Täufer.
Diese beiden Frauen sind unfruchtbar und nicht mehr in dem Alter,
in dem Frauen Kinder gebären. Jungfrauengeburten kommen
auch in andern Mythologien vor. Es handelt sich dort um einen
literarischen Kunstgriff, um auszusagen, dass das erwartete Kind
ein außergewöhnliches Wesen sein wird.
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Was ist genau passiert? Wir wissen es nicht. Ist Maria die
Leihmutter eines Kindes ungewisser Herkunft oder eine ledige
Mutter, die von Josef vor Schande bewahrt wird? Josef ist in
der Tat dazu bereit, Maria, mit der er bereits verlobt ist, stillschweigend
zu verlassen, weil sie schwanger geworden ist, bevor sie zusammen
waren. Er scheint nicht der biologische Vater von Jesus zu sein. |
Hingegen ist es seine Abstammung, die aus Jesus
ein Glied der Familie Davids macht. Der Adoption von Jesus durch
Josef kommt also eine große Bedeutung zu. Seine Zeitgenossen
nennen ihn schlicht den "Sohn des Josef". Maria ist
von dieser Abstammung nicht ausgeschlossen, denn Josef wird in
dem von Matthäus angegebenen Stammbaum (Mt 1,1ff.) "der
Mann der Maria" genannt. Dies fällt auf in einer Kultur,
wo normalerweise die Frau durch den Namen ihres Mannes identifiziert
wird.
Wurde es dem Kind gesagt, oder spürt es intuitiv, dass sein
Ursprung geheimnisvoll ist? Begibt er sich als Jugendlicher etwa
auf die Suche nach seinem richtigen Vater? Ist das vielleicht
der Grund seiner Flucht während der Pilgerfahrt nach Jerusalem?
Auf diese Weise, dank dieser Suche, kann Jesus auch die Entdeckung
einer anderen Herkunft machen, diejenige, die ihn an eine Transzendenz
bindet, die er seinen Vater nennt. Aber seine Eltern verstehen
ihn nicht, als er ihnen sagt, er müsse in dem sein, was
seines Vaters ist. Nach diesem Vorkommnis bleibt er brav zu Hause,
lernt Josefs Beruf und übt ihn bis zum dreißigsten
Altersjahr aus.
In den Evangelien steht nichts über die Beziehung
zwischen Josef und Maria. Es ist anzunehmen, dass sie glücklich
war. Man kann auch annehmen, dass sie andere Kinder hatten, weil
die Evangelien von den Brüdern und Schwestern von Jesus
reden. Als Maria Jesus gebiert, nennt ihn Lukas "ihren Erstgeborenen".
Dieser Ausdruck wurde auch durch "den einzigen Sohn"
übersetzt, aber er könnte auch "den ältesten
Sohn" bedeuten. Wie dem auch sei, während seinem einige
Jahre dauernden öffentlichen Auftreten hat Jesus der Blutsverwandtschaft
keinen großen Wert beigemessen: "Wer sind meine Mutter,
meine Brüder? Wer den Willen Gottes tut, der ist mir Bruder
und Schwester und Mutter (Mk 3,33-35)" und "Wer seinen
Vater, seine Mutter, seinen Sohn, seine Tochter (bei Lukas: seine
Frau) mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert (Mt 10,37)".
Relativiert er die familiären Bindungen, oder will er eine
Öffnung bewirken - hin zu neuen Verbindungen? Ist es nicht
ein Heraustreten aus der Geschlossenheit der Familie, um ihren
Gliedern, seiner Mutter und vielleicht seinen Geschwistern, neue
Beziehungen und neue Möglichkeiten aufzuzeigen?
Was kann aus einer solchen Interpretation der "Heiligen
Familie" geschlossen werden? Dass es nicht nur ein einziges
Familienmodell gibt, dass eine außereheliche Empfängnis
nicht unbedingt etwas Verwerfliches ist, dass die Adoption über
das rein Biologische hinaus geht - es ist nicht das einzig mögliche
Band zwischen Eltern und Kind, dass aus allen Familienformen
ausgeglichene Kinder hervorgehen können, dass die Flucht
eines Kindes zwar unverständlich ist und die Eltern ängstigt,
für das Kind selbst manchmal aber eine wichtige Etappe bedeutet
- oder auch dass die in sich selbst geschlossene Familie die
Selbstverwirklichung ihrer Mitglieder verhindert.
Das wäre - wenn nicht die Heiligung - so doch die Anerkennung
aller Familien, die als "nicht gemäß der Norm"
betrachtet werden. Denken wir an die Familien mit nur einem Elternteil,
an Familien mit Adoptivkindern, an die neu zusammengesetzten
Familien mit Kindern aus verschiedenen Ehen oder mit Kindern,
die durch medizinische Hilfsmaßnahmen gezeugt wurden. |
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Einmal mehr scheinen die Evangelien mit starren sozialen
Modellen aufräumen zu wollen. Jesus hat sich gegen alle
Bindungen erhoben, die die menschliche Freiheit beeinträchtigen:
die familiären Bande, wie hier, aber auch solche sozialer
oder religiöser Art. |