Logbuch: September 2003 

  Familientreffen  Ein überraschendes Abkommen 
  Auf dem Dorfmarkt   
  Geschichte von Partenia und Biographie von Bischof Jacques Gaillot
 
   Neues Buch: Machtlos, aber frei
 

PARTENIA

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Familientreffen

In einem südfranzösischen Dorf feierte meine Kusine ihr 50-Jahr-Jubiläum als Ordensschwester. Sie war aus Jerusalem her gereist, wo sie mehr als vierzig Jahre in Krankenhäusern gearbeitet hatte. Ihre zahlreichen Familienangehörigen wollten dieses Ereignis auf würdige Art feiern. Im Ort gehen alle regelmäßig in die Kirche, es ist für jung und alt Ehrensache.  fête de famille

église du village Die Festlichkeiten begannen also mit der Feier in der Dorfkirche. Die Jungen hatten die Gestaltung übernommen. Zu Beginn der Messe hatte ich eine Idee: Statt die Predigt zu halten, konnte ich doch meiner Kusine das Wort erteilen! Nach der Verkündigung des Evangeliums rief ich sie ans Mikrofon, um sie zu interviewen. Ich fürchtete erst, sie würde sich weigern, aber sie machte bereitwillig mit und legte vor der versammelten Familie ein schönes Glaubenszeugnis ab. 

Auf die Frage, was für sie das Kostbarste in diesen fünfzig Jahren Ordensleben war, antwortete sie: "Von Gott geliebt zu werden und die Erfahrung seiner Treue zu machen während all diesen Jahren."

Eine Frage musste ich ihr stellen: "Wie hast du den Konflikt zwischen den beiden Völkern in diesem Land erlebt?". - "Es schmerzt, auch in meiner eigenen Gemeinschaft. Aber ich habe gesehen, wie die Palästinenser leiden und wie sie Tag für Tag Ungerechtigkeiten über sich ergehen lassen müssen." Bei diesen Worten herrschte Totenstille im Raum.  le mur

Im Gemeindesaal standen Getränke und von den Familien zubereitete Gerichte auf einem großen Tisch. Ein einfaches Fest in ungezwungener Atmosphäre - ein wohltuendes Zusammensein.

     

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Ein überraschendes Abkommen

sans-papiers de Lille Ich habe der Aufforderung des Komitees der Sans-papiers von Lille Folge geleistet, die Hungerstreikenden zu besuchen, für die es bereits der 56. Tag war, vor allem diejenigen, die in sehr schlechtem Zustand im Krankenhaus lagen. - Es herrscht brütende Hitze. 

Am Bahnhof werde ich abgeholt und sofort zum Gewerkschaftshaus begleitet. In Zelten liegen Gruppen von Ausländern verschiedener Nationalität; sie sind erschöpft und abgemagert. Frauen sind auch dabei. Ich gebe allen die Hand und versuche ihnen Mut zu machen. Sie lächeln und applaudieren, als ich ihnen sage: "Sobald eure Papiere in Ordnung sind, gibt's ein Fest. Vergesst nicht, mich einzuladen, damit ich euch in aufrechtem Zustand sehen kann!"

Die Besuche in den Krankenhäusern der Umgebung setzen mir zu. Ich drücke jungen Leuten die Hand, die vor allem mit ihren Augen sprechen. In ihren Blicken lese ich ihre Verzweiflung.  une fois regularisé

Plötzlich geschieht etwas Überraschendes: Der Präfekt beruft eine Versammlung ein. Ich verlasse schleunigst das Krankenhaus und gehe zu ihm; der Vorsteher der Moschee von Lille und der Auxiliarbischof sind dort. Der Präfekt wünscht, dass der Hungerstreik aufhört. Er erklärt sich bereit, die Dossiers nochmals wohlwollend zu prüfen, damit in den nächsten Monaten die Papiere in Ordnung gebracht werden können.

Ich kehre sogleich in die Krankenhäuser zurück, um den Sans-papiers die gute Nachricht zu bringen. Für sie ist es eine unglaublich gute Nachricht. Mehrere weinen vor Freude. Die Ärzte, Pfleger und Krankenschwestern sind glücklich und erleichtert. Der Hungerstreik wird aufhören.

   

 

     
   

Auf dem Dorfmarkt

promenade In Begleitung meines Neffen und seines kleinen Jungen wollte ich auf dem Markt etwas einkaufen. Vor einem Stand, an dem Sportkleider und -artikel verkauft wurden, blieben wir stehen. Der junge Verkäufer war ein Farbiger. Er musterte mich aufmerksam. Ich spürte, dass er zögerte, aber ich half ihm nicht weiter. 

Nach einer Weile streckte er mir entschlossen die Hand hin und sagte: "Ich erkenne Sie.". Seine Entdeckung bereitete ihm offensichtlich Freude und ich beglückwünschte ihn dazu. Er sagte mir, er sei aus Pakistan.
"Ich weiß, was Sie für die Ausländer tun", sagte er mir, "und ich schätze die Art, wie Sie jedem Ihre Aufmerksamkeit schenken."

il prend tout son temps Diese unerwarteten Worte erinnerten mich sogleich an die Haltung Jesu. Wenn er auf seinem Weg einer Person begegnet, widmet er ihr viel Zeit, gibt ihr genügend Zeit, um sich zu ändern und ihn zu erkennen. Er verlässt die Gruppe, die Menge, um ganz für diese eine Person da zu sein. 

Fordert er uns so nicht auf, dieselbe Haltung einzunehmen? Was ihr einem von den Geringsten meiner Brüder tut... Jesus sagt nicht: Was ihr "den Vielen" tut, sondern "einem" von den Geringsten.
Der junge Pakistani sah mich immer noch an. Er wollte mir unbedingt etwas schenken. Und so kam der Kleine meines Neffen unverhofft zu einem Geschenk.