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Im Niger
Von Ouagadougou (Burkina Faso) aus reise ich nach Niamey,
der Hauptstadt des Niger. Die Distanz beträgt 530 km. Meine
einheimischen Begleiter haben Zeit in Hülle und Fülle,
um mit mir über ihr Land zu sprechen. Von den 11 Millionen
Einwohner sind nur 20'000 Katholiken. Mehr als 70% der Bevölkerung
sind unter 25 Jahre alt. Nur ein Viertel der Kinder geht zur
Schule! Der Niger ist weltweit gesehen fast das Schlusslicht
in Bezug auf die Entwicklung.
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Der Islam ist allgegenwärtig, und der Einfluss der fundamentalistischen,
oft gewalttätigen moslemischen Gruppen wird immer größer. |
Vorläufig lassen sie die Kirche in Ruhe. Sie
gleicht einer Ameise, die ganz allein unterwegs ist. Man will
sie nicht zerquetschen - wozu auch, eine einzige! Und Aids? Schwer
zu sagen, es gibt keine Statistiken. Die Moslems wollen nicht,
daß man sagen kann, in einem Land, wo sie die Mehrheit
haben, sei die Krankheit ebenso präsent wie in andern. Die
verdorbenen christlichen Länder seien mehr davon betroffen,
sagen sie.
Die Hungersnot ist fast zu einem Dauerzustand geworden,
denn die Regenzeiten sind schlecht. Überall herrscht Not,
zwei Drittel der Familien haben weniger als einen Dollar pro
Tag zum Leben.
Die meisten jungen Leute finden keine Arbeit. Die Besten unter
ihnen möchten nach Europa oder Nordamerika emigrieren. |
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Für sie gilt nicht das Sprichwort "Partir, c'est
mourir un peu" (Weggehen ist ein bisschen wie Sterben),
sondern seine Umkehrung: Bleiben ist völliges Sterben.
Angesichts von soviel Elend und Unwissenheit frage ich
mich, wieso es keine sozialen Unruhen, keinen Bürgerkrieg
gibt. Gerüchte über Umsturzversuche und Revolten sind
zwar immer im Umlauf. Aber die islamische Religion ist ein sehr
guter Kitt. Sie sorgt für den Zusammenhalt und lehrt die
Menschen, geduldig zu sein.
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Ich leite hier Einkehrtage für kirchliche Mitarbeiter, |
Entwicklungshelfer, Ordensleute, Priester und Bischöfe.
65 Personen aus dem ganzen Land nehmen an den Exerzitien teil.
Die Hitze macht mir zwar zu schaffen, der Regen bleibt
aus, aber ich habe die Freude, eine Kirche zu entdecken, die
immer afrikanischer wird. Ihr Same wird zur Pflanze, zum Baum,
gibt Früchte der Menschlichkeit. Sie ist das Salz, die allem
Geschmack verleiht. |
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Schmerzensschrei
Ahmed ist ein junger Menschenrechtsaktivist, den ich sehr
schätze. Er nimmt regelmäßig an den Aktionen
der Sans-papiers und der Wohnungssuchenden teil. Als es bei den
Präsidentschaftswahlen zum zweiten Wahlgang kam, machte
er beim "Mouvement Spontané" (Spontane Bewegung)
der Jungen mit, die sich gegen den Front National stellten.
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Ungerechtigkeit ist für ihn unerträglich, und so
ist er an allen Fronten präsent. Während einer Versammlung
in Straßburg wurde er festgenommen und beschuldigt, einen
Polizisten geschlagen zu haben. |
Aus dem Straßburger Gefängnis schreibt mir Ahmed
einen bewegenden Brief. Beim Lesen höre ich die Schmerzensschreie
der Gefangenen, wie das Rufen, das in den Psalmen vorkommt.
Dein Vertrauen rührt mich zutiefst. Sie sagen,
sie hätten mich in Isolierhaft gesteckt. Aber vom Kampf,
von der Liebe zu Gott und zu den Menschen kann mich nichts trennen.
Das Schlimmste sind die Schmerzensschreie, die aus den
andern Zellen bis zu mir dringen. |
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Sie brüllen, Jacques, und ich glaube, wenn ich
diesen Polizisten wirklich geschlagen hätte, würde
ich es jetzt auch tun. Ich glaube, dass meine Kameraden schreien
und weinen, weil sie sich verlassen vorkommen, von ihren Frauen,
Kindern und Freunden getrennt. Im Gefängnis lernt man sicher
nicht, den Hass abzulegen.
Bis bald, mein Bruder. In Liebe - Ahmed. |
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Im Flugzeug
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Ich befand mich im Flugzeug, das mich von Montréal
nach Paris bringen sollte, als mir eine Stewardess mitteilte,
der Flugkapitän würde mich gern in die Pilotenkabine
einladen. Und so saß ich bald darauf zwischen den beiden
Piloten im Cockpit und bewunderte den Mondaufgang in der Nacht.
Schon bald kam das Gespräch auf die Weltjugendtage, die
vor kurzem in Toronto stattgefunden hatten. |
"Ich habe etwas gegen diese Massenveranstaltungen
und gegen den Starkult des Papstes", sagte der Kommandant.
"Was halten Sie davon?" - "Die jungen Leute, die
in Toronto waren und jetzt in Ihrem Flugzeug sitzen, sind begeistert.
Als ich mit ihnen sprach, sah ich, dass ihre Gesichter die Freude
des Evangeliums ausdrückten, das Glück der Glaubenden.
Was mich stört an diesen Tagen, ist die Abwesenheit des
afrikanischen Kontinentes. Die jungen Afrikaner sind der Veranstaltung
ferngeblieben, und zwar nicht nur aus Kostengründen, sondern
weil die meisten kein Visum bekommen haben."
"Ich bin Agnostiker", erklärte der Kommandant.
"Als ich in der Kirche geheiratet habe, habe ich dem Priester
gesagt, ich würde kein Wort aussprechen und keine Geste
machen, die den Eindruck erwecken könnte, ich sei gläubig.
Aber ich denke, dass es die Rolle der katholischen Kirche ist,
die sozialen Werte zu verteidigen. Früher war ich gegen
das, was der Papst in Afrika zum Thema Aids gesagt hatte. Heute
finde ich, dass er Recht hatte. Er gehört zu einem System
und muss dieses verteidigen. Seine Rolle ist es, die Prinzipien
in Erinnerung zu rufen, die Ideale hochzuhalten. Sonst zerstört
er das System."
"System hin oder her", antwortete ich, "wichtig
ist, dass der Mensch verteidigt wird. Die Liebe kommt vor dem
Gesetz. Das Leben vor den Prinzipien. Der Sabbat ist für
den Menschen da und nicht umgekehrt." Der jüngere Pilot,
der bis dahin geschwiegen hatte, gab sofort seiner Zustimmung
Ausdruck. Es war wirklich alles andere als eine fade Diskussion!
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Als ich zurückging, sah ich, dass die Besatzung am Essen
war. Die Passagiere schliefen. Man bot mir Käse und vorzüglichen
Bordeaux an. |
Einer von ihnen - er hiess Dominique - hatte ein Anliegen
an mich. "Seit einem Jahr bin ich verheiratet. Nun habe
ich beim Baden auf der Insel Réunion meinen Ehering verloren,
er war gesegnet. Ich habe einen anderen gekauft. Können
Sie ihn mir segnen?" Dominique legte mir seinen Ring auf
die Handfläche. Im Kreise des Bordpersonals segnete ich
zu seiner großen Freude den Ehering. |