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Freude auf dem Weg
Eine Frau, die so schwer krank war, daß sie ihr Haus
nicht mehr verlassen konnte, hatte mich eindringlich gebeten,
sie zu besuchen. Ich kannte sie zwar nicht, machte mich aber
trotzdem sofort auf den Weg und nahm die Metro. Als ich an der
Station ausstieg, die ich für die richtige hielt, konnte
ich mich zunächst gar nicht orientieren.
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Ich betrat den Salon eines Friseurs, der gerade dabei war,
einer Frau das Haar zu machen. Kaum hatte ich meine Frage gestellt,
antwortete er mir:"Sie haben Glück, daß Sie's
sind, mit einem Pfarrer spreche ich nämlich sonst nie!".
Die Frau, die er frisierte, hob bei diesem ungewöhnlichen
Dialog neugierig den Kopf. Er schaute nach draußen und
fuhr weiter: "Sehen Sie das Motorrad, das eben vorbeifährt?
Laufen Sie ihm nach. Es ist geradeaus." |
Und das tat ich dann auch, obwohl das Motorrad schon aus
meinem Blickfeld verschwunden war. Beim Hinausgehen drehte ich
mich um und sagte: "Danke, daß Sie mich auf den den
rechten Weg führen!". Der Friseur verließ kurz
seine Kundin, trat heraus auf die Straße und meinte schelmisch:
"Ich führe Sie nicht auf den rechten Weg, ich zeige
ihn Ihnen bloss."
Eine bewundernswerte Richtigstellung, die mir erstens den Weg
wies und zweitens auch die kranke Frau erheiterte, die auf mich
wartete. |
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Gartenzauber
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Für mich bedeutet das Durchqueren des "Jardin des
Plantes" mitten in Paris pures Glück: Die Blumen entfalten
ihre Pracht, die Vögel wähnen sich im Paradies, und
die Kinder können nach Herzenslust umherlaufen. |
Ich betrachtete im Gehen diese Wunder der Schöpfung,
als ich hinter mir eilige Schritte hörte. Es war eine Frau.
Ganz außer Atem sagte sie zu mir: "Erkennen Sie mich
wieder?". Ihr Gesicht kam mir bekannt vor. Sie stellte sich
gleich selbst vor, um mir auf die Sprünge zu helfen: "Ich
bin Emmanuelle Béart." Natürlich! Wer würde
diese berühmte Schauspielerin nicht wiedererkennen! Wir
umarmten uns, um unserer Freude über das unerwartete Wiedersehen
Ausdruck zu geben.
Emmanuelle Béart hatte sich bei der Besetzung der Kirche
Saint Bernard solidarisch gezeigt mit den Sans-papiers. Sie hatte
sogar eingewilligt, in der von den Papierlosen besetzten Kirche
zu übernachten, damit die Polizei nicht einschritt. |
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Ihr Mitleid mit den Leuten und vor allem mit den Kindern
hatte die Sans-papiers tief berührt.
"Kommen Sie", sagte sie mir, "ich stelle
Sie meinem Mann und meinen Kindern vor." Da erinnerte ich
mich an das, was sie mir einmal gesagt hatte: "Ich engagiere
mich für die Sans-papiers, weil ich nicht möchte, daß
mir meine Kinder später vorwerfen, nichts getan zu haben."
Ich ging weiter auf dem Weg, den unzählige Blumen
säumten, als mich drei Frauen aufhielten. Sie waren sehr
überrascht, mich in Fleisch und Blut vor sich zu haben.
"Wir sind Jüdinnen, und wir wollen, daß Israel
aufhört, gegen die Palästinenser Krieg zu führen.
Der Großaufmarsch bei der "Frieden jetzt"-Kundgebung
neulich in Tel Aviv ist ein Erfolg."
Ich sagte Ihnen, wie sehr ich mich über die bekannte
israelische Sängerin Yaffa Yarkoni gefreut hatte, die sich
klar gegen den israelischen Krieg ausgesprochen hatte. Sie tritt
für diejenigen ein, die sich heute weigern, in den besetzten
Gebieten Militärdienst zu leisten.
"Es ist nicht leicht für uns", vertrauten mir
die Frauen an, "denn unsere Familien sind nicht mit uns
einverstanden. Bei diesem Thema gibt's Ärger!" |
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Mit einem Schlag
In einer sehr schönen Wohnung in Paris begegne ich
einem Mann, der ausgestreckt auf seinem Bett liegt. Er empfängt
mich mit strahlenden Lächeln. Abgesehen von seinem Kopf
ist der ganze Körper gelähmt. Wie ist das passiert?
Er war in den Bergen mit dem Hängegleiter in einen
Felsen geprallt. Er war vierzig Jahre alt, als sich sein Leben
schlagartig änderte. Einige Zeit später starb seine
geliebte Frau an Krebs. Diese tragischen Ereignisse haben ihn
nicht untergekriegt. Er hat um sein Leben, um ein neues Leben
gekämpft. Er war Marxist, und nun ist er Christ geworden.
Sein Glaube an Christus ist unerschütterlich.
Wir essen am gleichen Tisch. Er sitzt im Rollstuhl und
läßt sich füttern wie ein Kleinkind. Die Unterredung
geht weiter, und ich bemerke bei ihm weder Ungeduld noch sonst
ein Zeichen des Unwillens. Kein einziges Wort der Klage. Im Gegenteil,
er strahlt einen tiefen inneren Frieden aus.
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"Ich habe Glück", sagt er, "daß
ich in meinen vier Wänden wohnen bleiben kann. Ich habe
Geld und kann auch für die Pflege aufkommen. Ich denke an
all jene, die gezwungen sind, in einem Heim zu leben. Ich weiß,
was das bedeutet, ein paar Jahre lang mußte ich da auch
durch." |
Ich konnte nicht anders, als ihm später einen Brief
zu schreiben, um ihm für sein Mut machendes Zeugnis zu danken. |
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Leben ohne Berührungsängste
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In der Nähe einer kleinen Stadt in der tiefsten Normandie
gibt es ein Quartier, in dem viele Einwanderer leben. Jemand
hatte die gute Idee, unter der Leitung einer Journalistin, die
auch Schriftstellerin ist, ein Schreibatelier zu gründen.
Eine Gruppe von Frauen, Immigrantinnen, machte sich an die Arbeit,
trotz ihrem sonst schon befrachteten Alltag. Sie schrieben ihre
Erinnerungen an Ereignisse auf, die das Leben im Quartier geprägt
hatten. |
Der Erfolg übertraf alle Erwartungen. Daraus entstand
nicht nur ein Buch, sondern auch echte Freundschaften unter den
Familien im Quartier.
Man hatte mir die Einladung zu einer Begegnung mit dieser
Gruppe zukommen lassen. Als ich aus dem Zug stieg, empfingen
mich die Frauen vom Schreibatelier auf dem Bahnsteig. Sie führten
mich direkt in ihr Quartier und erzählten mir eifrig und
voller Stolz, wie das Buch entstanden war. Ich hatte das Gefühl,
von einer großen Familie umgeben zu sein.
Nach dem Vortrag, den ich im Stadtzentrum hielt, wollten einige
Frauen und ihre Männer den Abend mit mir zusammen in einem
Pub beschließen. Gesagt, getan. Bald darauf stand ich in
einem vollbesetzten Pub, wurde vom entzückten Wirt begrüßt,
schüttelte vielen jungen Leuten die Hand, trank mit ihnen
Bier und verteilte Autogramme. Ein überraschender und sympathischer
Abschluß des Abends! |
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Ich dachte an die Frage, die mir nach dem Vortrag gestellt
worden war: "Was kann man tun, damit die Jungen wieder zur
Kirche zurückfinden?". Ich hatte geantwortet: "Es
ist an uns, ihnen dort zu begegnen, wo sie zusammenkommen, wo
sie leben, wo sie kämpfen." Das war nun eine Art Beweis
dafür. |
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