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Er heißt Julien
Er ist achtzehn. Der Älteste von drei Kindern. Er
kommt aus Texas zurück, wo er ein Praktikum absolviert hat.
Seine Familie besitzt Weinberge, die weit über die Grenzen
des Landes hinaus bekannt sind.
Ein schönes altes Haus. Und dort fand man Julien in
seinem Zimmer - er hatte sich erhängt. Sein Geheimnis hatte
er mit sich genommen. Der Schmerz ist unermesslich, die Erschütterung
unbeschreiblich.
Einen Monat nach der Tragödie suche ich mit einem
gemeinsamen Freund seinen Vater auf. Er ist gerade dabei, mit
amerikanischen Weinkäufern ein Geschäft abzuschließen.
Nach dem Besuch in den Kellern begeben wir uns zum Wohnhaus
der Familie. Die Mutter zeigt mir Juliens Fotoalbum. Auf dem
letzten Foto, das ich in mein Brevier gelegt habe, sieht Julien
aus, als würde er prüfend in die Unendlichkeit blicken.
Wir fahren mit dem Auto durch die Weinberge und gelangen
zum Friedhof, der an den Hügel geschmiegt da liegt, hoch
über dem Tal. Ein wunderschöner, friedlicher Ort.
Vor dem blumengeschmückten Grab fühlen wir uns
sehr nah. Nach einem Gebet zu Gott und zu Maria wende ich mich
an Julien: "Dein Weggang erschüttert deine Familie.
Nichts ist mehr wie vorher. Du zeigst ihnen einen neuen Weg,
den Weg der Menschlichkeit." |
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10 Jahre später |
Ein Paar, das vor zehn Jahren von mir getraut worden ist,
lädt mich ein, den Abend bei ihnen zu verbringen. Ich habe
sie seit ihrer Heirat nicht mehr wiedergesehen. Bei meiner Ankunft
erblicke ich bei ihnen ein kleines Kind, dessen asiatische Gesichtszüge
mir gleich auffallen.
Wir reden über die vergangenen zehn Jahre und über
ein einschneidendes Ereignis: "Am Anfang sah alles rosig
aus. Wir bekamen alles, was wir uns wünschten. Aber eines
hatten wir nicht vorausgesehen: dass wir keine Kinder bekommen
konnten. Das war unser erster Misserfolg. Und der war schwer
zu verdauen. Wir haben uns in diese Zwangslage ergeben und haben
beschlossen, ein Kind zu adoptieren.
Wir sind sehr glücklich darüber. Dieses Kind
hat unser Leben geändert.". |
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Gewalt in Genua |
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Agnès, eine Aktivistin der Vereinigung Droit au
Logement DAL (Recht auf Wohnung) in Paris, war mit Gesinnungsgenossen
nach Genua gereist, um friedlich gegen die liberale Globalisierung
zu demonstrieren.
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Agnès gehört zu dieser neuen Generation, die sich
aufbäumt, zu dieser internationalen Bürgerbewegung,
deren Entschlossenheit die neuen Herren der Welt in nicht geringem
Maße beunruhigt. |
Agnès wurde von der Polizei brutal misshandelt,
kam in Genua ins Krankenhaus und wurde später in Paris ins
Salpétrière-Spital eingeliefert. Sie kann immer
noch nicht fassen, was geschehen ist: eine noch nie da gewesene
Repression, ein Toter, mehr als hundert Verletzte, hunderte von
willkürlichen Festnahmen.
Indem sie die Proteste von Genua kriminalisiert haben, haben
sich die G8-Staaten selber in Misskredit gebracht. Aber mit Genua
wurde kein Schlussstrich gezogen, im Gegenteil! |
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- Unerwartete Begegnungen
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Ein brasilianischer Bischof, der sich kurze Zeit in Paris
aufhielt, wollte mich treffen. Zur verabredeten Zeit traf er
im Haus der Spiritaner ein, wo ich wohne. Sein Gesicht strahlte
Güte aus. |
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- "Man kennt Sie in Brasilien", sagte er mir.
"Ich habe Sie im Fernsehen gesehen. Ich bin sehr froh, Sie
zu treffen, und ich möchte Ihnen sagen: Halten Sie durch.
Machen Sie weiter. Sie erweisen der Kirche einen Dienst."
Mir wurde warm ums Herz.
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- Wie überrascht war ich, als ich dann sein Alter erfuhr:
94 Jahre! "Ich habe das ganze Konzil miterlebt, und das
Konzil hat mich bekehrt. Nach meiner Wahl zum Vizepräsidenten
der Bischofskonferenz war es mir ein Anliegen, die Lehren des
Konzils zu verwirklichen."
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- Ich bewunderte seine Offenheit, sein Eintreten für
das Evangelium.
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- Als ich ihn zu Fuß zur Metrostation zurückbegleitete,
sagte er mir zum Abschied nochmals: "Halten Sie durch."
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Ein paar Tage später erfuhr ich von Freunden, dass der
neue Kardinal von Honduras eine Begegnung mit mir wünschte. |
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- Wir verbrachten zwei Tage in der besinnlichen Atmosphäre
des Foyer de la Roche d'Or in Besançon und tauschten wie
Brüder unsere Gedanken aus. Der Kardinal interessierte sich
sehr für meine Situation, und die Art, wie die Verantwortlichen
in der Kirche damit umgehen, warf zahlreiche Fragen auf.
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In Freiburg (Schweiz)
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Es war Pfingstmontag. Etwa vierzig Papierlose besetzten die
Lokale der Kirche St-Paul. |
Fünfzig Tage später lud mich das Unterstützungskomitee
als Redner zu einer Veranstaltung in der Kirche ein. Die Verhandlungen
mit den Behörden kamen nicht voran und der Pfarreirat forderte
die Papierlosen auf, die Kirche zu verlassen.
Glücklicherweise war der Pfarrer von Anfang an auf
ihrer Seite. Die Sans-papiers waren sichtlich erfreut, mich zu
sehen, sie empfingen mich wie einen Bruder. Ich fühlte mich
wie zu Hause, hatte den Eindruck, sie schon immer gekannt zu
haben.
An jenem Abend waren viele Leute anwesend, Priester, Ordensleute,
Personen, die von weit her gekommen waren, Jugendliche. Einige
der Papierlosen ergriffen selber das Wort. Informationen wurden
mitgeteilt, Aktionen wurden vorgeschlagen.
Die Teilnehmer waren von den menschlichen Problemen dieser
Fremden betroffen. Sie sahen Familien mit ihren Kindern. Sie
sahen Gesichter. Ein Satz, den Jesus ausgesprochen hatte, wurde
plötzlich lebendig: "Ich war fremd und ihr habt
mich aufgenommen." |
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