carnet de route
 
Gerechtigkeit und Freiheit für Mumia  
Zusammenkünfte der Hoffnung  
Hausbesetzung in Bordeaux  
Protestmarsch  
   
   
Gerechtigkeit und Freiheit für Mumia  
   
Mumia Abu-Jamal Mumia ABU-JAMAL ist soeben 55 Jahre alt geworden, und davon hat er 27 Jahre, fast die Hälfte seines Lebens, in der Hölle der Todeszelle verbracht! 27 Jahre lang hat er seine Unschuld beteuert, 27 Jahre lang hat er einen neuen Prozess gefordert, 27 Jahre lang hat er an seinen Büchern geschrieben – fünf Bücher –, um die Unmenschlichkeit dieser Strafe anzuprangern. Heute steht er mit andern zusammen an der Spitze der Bewegung für eine weltweite Abschaffung der Todessstrafe.
 
   
Der schwarze amerikanische Journalist Mumia wurde 1981 verhaftet, als er seinem Bruder zu Hilfe eilte, der von der Polizei angegriffen worden war. Er wurde des Mordes an einem Polizeibeamten schuldig gesprochen und im Jahre 1982 am Ende eines unfairen Prozesses zum Tode verurteilt.  
   
Mumias Verteidigung hatte einen neuen Prozess gefordert, aber der oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten hat diesen Antrag vor kurzem zurückgewiesen.
Die höchste Behörde der amerikanischen Justiz bekräftigt also definitiv diese Gerechtigkeitsverweigerung, deren Opfer er ist.
 
   
Ich nehme an der wöchentlichen Versammlung teil, die um 18 Uhr auf dem Place de la Concorde stattfindet, gegenüber dem amerikanischen Konsulat. Das nationale Kollektiv zur Unterstützung von Mumia findet sich dort regelmässig ein. Man erteilt mir das Wort. Ich erinnere mich: «Vor zehn Jahren sind wir mit einer Delegation – viele von euch waren dabei – nach Philadelphia gereist, um einen neuen Prozess und die Abschaffung der Todesstrafe zu fordern. Es war eine beeindruckende Aktion.»  
   
Der Kampf geht weiter. Es wird ein Brief an Präsident Obama abgeschickt. «Yes we can». Ist es nicht an der Zeit, dass sein Land einen Strich zieht und die Todesstrafe abschafft, so wie es die UNO-Resolution für einen weltweiten Hinrichtungsstopp verlangt?
contre la peine de mort
 
   
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Zusammenkünfte der Hoffnung  
   
Am Anfang war da die Zusammenkunft vom 1. Mai, ein für mich absolut aussergewöhnliches Ereignis: Alle Gewerkschaften zogen gemeinsam, Arm in Arm, durch die Strassen. Eine Demonstration der gewerkschaftlichen Einheit und Solidarität. Noch nie da gewesen. Die Menge war so dicht, dass ich die Sans-Papiers-Arbeiter der Organisation nicht fand. Um mich herum: Familien, Gruppen von Jugendlichen, Leute, die zum ersten Mal an einer solchen Kundgebung teilnahmen. Ein schönes Gefühl, diese Zusammengehörigkeit, dieses wohltuende Klima – und dazu die wärmende Frühlingssonne.  
   
manifestation du 1er mai Wie kommt es, dass am Anfang eines dreitägigen Wochenendes eine Demonstration solchen Ausmasses auf die Beine gestellt werden kann? Ist es nicht der Ausdruck eines tiefen sozialen Missbehagens?
 
   
Am folgenden Tag, dem 2. Mai, war ich an einem Treffen der Christlichen Arbeiterjugend (JOC) im Parc de la Courneuve in der Nähe von Paris dabei. Etwa 20’000 Jugendliche waren aus ganz Frankreich angereist; sie verwandelten den Tag in ein wunderschönes Volksfest. Ein voller Erfolg. Wie viel Begegnungen! Am Nachmittag beteiligte ich mich aktiv am Forum mit dem Thema «Glaube und Engagement».  
   
In der JOC werden die Jugendlichen an der Schule des Lebens ausgebildet, im harten Alltag. Eine Pädagogik, die sie für immer prägt. Das Evangelium stösst bei ihnen nicht auf taube Ohren. Wenn man die Sehnsüchte und Fragen der Jungen ernst nimmt, eröffnen sich uns neue Wege in die Zukunft.  
   
Dass ein solches Treffen möglich ist, erfüllt einen mit Hoffnung.
rassemblement d'espoir
 
holder
 
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Hausbesetzung in Bordeaux  
   
Obdachlose, die es müde waren, von einer Unterkunft zur andern zu laufen, manchmal im Freien zu schlafen. Sie haben ihr Schicksal in die eigenen Hände genommen und besetzten eine alte Garage mit Wohnhaus in einem Quartier der Altstadt von Bordeaux.  
   
les locaux vides Räume, die seit Jahren leer standen und völlig heruntergekommen waren. Nach einigen Monaten sind die Räumlichkeiten völlig neu gestaltet, eine Werkstatt ist eingerichtet worden. Drei Obdachlosen-Organisationen nehmen an diesem Abenteuer teil.
 
   
Besitzerin ist die Stadtgemeinde von Bordeaux. Der Präsident will sich mit den Obdachlosen auf keine Verhandlungen einlassen. Er verlangt die Vertreibung der Eindringlinge und führt gegen sie einen Prozess.  
   
Die Obdachlosen wehren sich. Sie laden mich nach Bordeaux zur Eröffnung des Lokals ein, vor dem Prozess. Ein Festtag – und eine Herausforderung der Behörden. Viele Leute kommen, um die Räumlichkeiten zu besichtigen, und um sie ihrer Unterstützung zu versichern: «Es ist doch schade, dass die Wohnungen nicht belegt sind; sie haben Recht, dass sie hierher kommen.»  
   
Es ist in der Tat ein Skandal, dass mitten in der Stadt Wohnungen jahrelang leer stehen, während Menschen gezwungen sind, unter freiem Himmel die Nacht zu verbringen. Wer bricht da das Gesetz? Die Obdachlosen oder die Besitzer? Wie kommt es, dass die Behörden die Repression den Verhandlungen vorziehen?
obligé de dormir dehors
 
   
Die lokalen Medien zeigen grosses Interesse und berichten laufend über die Ereignisse. Ich wende mich via Medien an den Präsidenten und bitte ihn, Verhandlungen aufzunehmen. Nach der Pressekonferenz wird ein Aperitif und anschliessend Couscous serviert. Die Obdachlosen sind mit dem Tag zufrieden. Sie fühlen sich nicht allein.  
   
Jeden Tag warten sie gespannt auf ein Zeichen der Behörden. Und endlich kommt es, das Zeichen: Die Verhandlungen mit der Stadtgemeinde werden möglich. Die Obdachlosen wagen bereits an eine Feier zu denken!  
   
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Protestmarsch  
   
Bahija ist Marokkanerin, Verantwortliche des 9. Kollektivs der Sans-Papiers im Raum Paris. Schon seit Jahren bewundere ich ihr Engagement und ihre Entschlossenheit. Jedermann achtet sie.  
   
Wenn ich von Bahidja zu einer Aktion eingeladen werde, tue ich alles, um dabei sein zu können. Diesmal war der Treffpunkt an einem Samstagnachmittag am Gare de Joinville-le-Pont. Ein Protestmarsch gegen die Abschiebungszentren, wo die Sans-Papiers zusammen gepfercht werden, bevor sie in ihre Länder abgeschoben werden.  
   
Ungefähr zweihundert junge Leute waren hier zusammen gekommen. Die Kapuze, die ihr Gesicht verbarg, schützte sie vor dem Regen. Ein beeindruckendes Polizeiaufgebot war auf allen Seiten zu sehen.  
   
homage à Baba Traore Zuerst gingen wir die Strasse entlang, die hinunter zum Fluss führt. Vor genau einem Jahr war dort ein junger Mann aus Mali, Baba Traore, der vor der Polizei verfolgt wurde, in den Fluss gesprungen und war ertrunken. Wir halten eine Schweigeminute am Ort, wo sich die Tragödie ereignet hat, über unseren Köpfen sorgt ein Helikopter für Lärm. Den ganzen Nachmittag lang kreist er über unseren Köpfen und überwacht uns.
 
   
Wir machen uns unter dem Regen wieder auf. Es ist ein langer Weg bis zum Centre de rétention von Vincennes, wo es im vergangenen Jahr Revolten gegeben hat, nachdem ein Sans-Papiers tot aufgefunden worden war. Die Inhaftierten waren aufgewühlt und es kam so weit, dass das Zentrum angezündet wurde. Sie wurden an einen andern Ort gebracht, einige wurden angeklagt. Heute ist das Zentrum wieder aufgebaut. Für die Polizei ist es ein heisser Ort geworden.
Unterwegs rede ich mit Mériadec, ein aktiver und aufmüpfiger Geselle. Wenn er Probleme mit der Polizei hat, beruft er sich regelmässig auf mich und gibt ihnen meine Adresse an.
 
   
Endlich sind wir beim Abschiebungszentrum angelangt. Es ist alles noch da, die Polizei, der Hubschrauber, der Regen. Die jungen Leute lassen sich nicht entmutigen. Sie fordern den Stopp der Abschiebungen und die Schliessung der Ausschaffungszentren. –
marche de protestation
 
   
Ein paar Tage später rief mich die Polizei an, um mir zu melden, dass Mériadec verhaftet worden war, teilte mir auch mit, wo er sich befand und wann der Prozess stattfinden würde. Mériadec wurde daraufhin ins Gefängnis von Fleury-Mérogis verlegt. Die Verantwortlichen benachrichtigten mich und gaben mir die Häftlings-Nummer, damit ich ihm schreiben oder ihn besuchen konnte. Ich hatte ein langes Telefongespräch mit seiner Partnerin. Sie war erleichtert, als sie hörte, dass ich am Prozess dabei sein würde.